Der Gegenwind sprach mit dem Dienststellenpersonalratsvorsitzenden der Wilhelmshavener Entsorgungsbetriebe Detlef Schuhe über die Befürchtungen der WEB-Kollegen hinsichtlich der jetzt eintretenden Veränderungen bei der Abfallentsorgung.
Gegenwind: Die Abfallwirtschaftsgesellschaft (AWG) wird neu strukturiert, die Anteile der Gesellschaft neu verteilt. Was passiert da aus deiner Sicht überhaupt?
Schue: Für mich ist nicht nachvollziehbar, dass man jetzt der GMA 49% der Anteile gibt und sie mehr oder weniger als gleichberechtigten Partner in die Abfallwirtschaftsgesellschaft holt. Die Gründe dafür kenne ich nicht. Der Werksleiter der WEB Franz Neugebauer wird gleichzeitig Geschäftsführer der AWG. Der Aufsichtsrat der AWG setzt sich zukünftig unter anderem zusammen aus Dr. Jens Graul, Hans Gabriels und Heinz Weerda. Also alles Leute, die auch im Werksausschuss der Wilhelmshavener Entsorgungsbetriebe (WEB) sitzen. Die personellen Entscheidungen sind m. E. so getroffen worden, weil man zukünftig Aufgabenbereiche von der WEB an die AWG verschieben will. Aus der Belegschaft werden schon Äußerungen wie ‚Müllmafia-Versorgungsbetriebe‘ und ‚die Fortsetzung vom dreckigen Sumpf‘ laut.
Zum Aufgabenbereich der AWG. Die AWG war im wesentlichen bislang zuständig für die Beseitigung von Baurestmassen. Also Hauptaufgabe war die Baustoffrestverwertung. Wie schätzt du die jetzt neu definierten Aufgabengebiete ein?
Zukünftig kann diese AWG alle klassischen Bereiche der Müllabfuhr und evtl. auch die Straßenreinigung abdecken. Die Verträge, die jetzt geschlossen worden sind bezüglich der künftigen Aufgabenbereiche der AWG, sind sehr weit gefasst.
In dem Antwortschreiben von Oberstadtdirektor Arno Schreiber auf deinen offenen Brief heißt es, dass der AWG u.a. die Aufgabe zufallen soll, „Abfälle zur Verwertung aus privaten Haushalten, Gewerbe und Industrie“ zu erfassen. Damit ist aber doch nicht die Abfuhr der Restmülltonne gemeint.
Doch. Richtig ist, dass zwischen Verwertung und Ablagerung unterschieden werden muss. Wir, die WEB, lagern z.Zt. den Restmüll noch ab. Die Mülldeponie darf allerdings nur noch bis zum Jahr 2005 betrieben werden. Wenn eine Verlängerung der Ablagerung des Restmülls über das Jahr 2005 nicht möglich sein sollte, ist es nicht unwahrscheinlich, dass dieser Restmüll dann verbrannt wird. Verbrennen wird aber als Verwerten kategorisiert. Man spricht hier von thermischer Verwertung. Spätestens dann kann die AWG auch den Restmüll abfahren zwecks eben dieser thermischen Verwertung.
Auch alle anderen genannten Aufgabengebiete der AWG sind klassische Aufgaben der WEB. Z. B. die Abfuhr von Sperrmüll und die Abholung von Bioabfällen. Hier kann eine Verlagerung der Arbeiten von der WEB auf die AWG praktisch von heute auf morgen erfolgen.
Wenn sich diese Aufgabengebiete zur AWG verlagern, welche Konsequenzen siehst du für die Kollegen der WEB?
Uns wird die Arbeit weggenommen. Wir befürchten dann natürlich Arbeitsplatzabbau.
Aus dem Gesprächskreis, der sich am 21.4.99 im Büro von Stadtrat Jens Graul traf, kam harsche Kritik in Richtung des Personalrates der WEB. Ihr habt demnach „keine Ahnung von der sich anbahnenden Entwicklung in der Abfallwirtschaft, von dem Druck, der von überregionalen Unternehmen auf lokale Arbeitsplätze ausgeht.“ Was sagt ihr dazu?
Also, aus gewerkschaftlicher Sicht – dies haben mir auch Gewerkschaftsfunktionäre aus anderen Städten bestätigt – ist es nicht zwingend erforderlich, dass man in Zukunft privatwirtschaftlichen Unternehmen Aufgaben der kommunalen Entsorgung überträgt. Rein theoretisch können wir das alles selber machen.
Aber die Privaten machen das billiger?
Ja, aber nur dann, wenn die ihre Arbeitnehmer schlechter bezahlen. Und das passiert auch nach meinen Informationen. In den privaten Entsorgungsbereichen gibt es z. Zt. erhebliches Lohndumping. Also, wenn die Rede davon ist, dass private Anbieter den Müll preisgünstiger entsorgen, muss immer auch dazu gesagt werden, dass die Arbeiter dort schlechter bezahlt werden.
Es heißt , dass die Stadt und die GMA „in der gemeinsamen Ausweitung der bisherigen Aktivitäten der AWG eine gute Grundlage (sehen), zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen…“. Arno Schreiber will „Arbeitsplatzabbau bei den WEB über Fluktuation … nicht ausschließen“. In der WZ vom 18. 6. 99 konnten wir lesen, dass „niemand entlassen oder zur AWG versetzt werden soll“. Aber aus Altersgründen ausscheidende Mitarbeiter werden bei der WEB nicht ersetzt. Was wird deiner Meinung nach passieren?
Also, das Problem beschäftigt uns schon konkret. Bei uns sind jetzt zwei Kollegen in den Ruhestand gegangen. Diese frei gewordenen Personalstellen werden erstmal nur befristet bis zum Ende des Jahres 1999 neu besetzt. Im laufenden Kalenderjahr scheiden noch drei weitere Kollegen aus Altersgründen aus. Auch hier ist zu erwarten, dass bis zum 31. 12. 99 befristet diese Stellen neu besetzt werden. Ich gehe nicht davon aus, dass diese Verträge verlängert werden. Wir haben dann also schon mal fünf Kollegen weniger bei den WEB.
Arbeitsplätze, die dann bei der AWG dazukommen?
Das weiß ich nicht. Fakt ist, dass bei der WEB Arbeitsplätze abgebaut wurden. Ob danach Arbeiter bei der AWG eingestellt werden oder eventuell Leute von der GMA dort beschäftigt werden, ist ja noch völlig offen. Aber ich bin sicher, dass nicht im gleichen Maße, wie bei der WEB Arbeitsplätze abgebaut werden, bei der AWG Arbeitsplätze geschaffen werden.
Wie haben die Kollegen im Betrieb reagiert, als die veränderte Betriebsstruktur bei der AWG und die Folgen für die WEB bekannt wurden?
Einige Kollegen sind spontan aus der Gewerkschaft ausgetreten. Die Kollegen befürchten, dass die Arbeitsplätze bei der WEB nach und nach verschwinden. Hier soll nach Meinung vieler Kollegen ganz bewusst Abbau betrieben werden. Uns Müllwerkern und Straßenreinigern bei den WEB wird ja auch aus der kommunalen Führungsetage bescheinigt, dass wir eindeutig zu viel verdienen und zu viel Mitspracherechte haben. Die Kollegen sagen, dass jetzt der Versuch unternommen wird, die WEB auszubluten.
Gegenüber der WZ haben so genannte Insider in diesem Zusammenhang „von tariflichen Ausuferungen der 70er und 80er-Jahre“ gesprochen, an denen die zukünftig bei der AWG beschäftigten Kollegen dann nicht mehr partizipieren sollen.
Gemeint sind die tariflichen Vereinbarungen, insbesondere die tariflich vereinbarten Lohnerhöhungen. Dafür haben die Kollegen seinerzeit gekämpft. Die Lohnverbesserungen im öffentlichen Dienst sind im Vergleich zu vielen Bereichen der Privatwirtschaft bekanntlich in der Vergangenheit eher niedrig ausgefallen. Wer also von „tariflichen Ausuferungen“ spricht, kann seinen Kopf vermutlich nur in eine Richtung drehen.
Zum Streit mit der ÖTV-Führung. Was wirfst du, was werfen deine Kollegen der ÖTV-Führung vor?
Wir werfen der ÖTV vor, dass bereits am 21. 4. d. J. die Kollegen Jürgen Harms und Michael Ramke mit Stadtrat Dr. Jens Graul, Heinz-Jörg Mellen (Geschäftsführer der GMA) und Franz Neugebauer (Werksleiter der WEB) ein Gespräch über die Neustrukturierung der AWG mit den entsprechenden Auswirkungen für die Wilhelmshavener Entsorgungsbetriebe geführt haben. Insbesondere machen wir den ÖTV-Sekretären zum Vorwurf, dass sie über den Inhalt dieses Gespräches Stillschweigen vereinbart haben. Es wurde sogar vereinbart, nach außen nicht Kund zu tun, dass dieses Gespräch überhaupt stattgefunden hat.
Durch die Indiskretion eines Teilnehmers dieses Gesprächs habt ihr aber dann doch Kenntnis bekommen. Der verbale Schlagabtausch in der örtlichen und regionalen Presse zwischen der Personalvertretung der WEB und der örtlichen ÖTV-Führung war dann heftig. Ihr habt von Verrat an den Kollegen gesprochen. Wie ging die Auseinandersetzung weiter, wie sahen die Folgen aus?
Der Personalrat hat einen Brief an den Kollegen Herbert Mai vom ÖTV-Hauptvorstand Stuttgart sowie an den Kollegen Jan Kahmann vom ÖTV-Bezirk Weser-Ems geschrieben. Wir haben in diesem Brief personelle Konsequenzen im Bereich der ÖTV-Kreisverwaltung Wilhelmshaven/Friesland gefordert. Man kann als Gewerkschafter nicht Stillschweigen mit der Arbeitgeberseite vereinbaren, insbesondere dann, wenn Nachteile für Gewerkschaftsmitglieder drohen.
Wie haben die übergeordneten Gewerkschaftsebenen reagiert?
Kollege Herbert Mai hat auf die Zuständigkeit des Bezirkes Weser-Ems verwiesen. Jan Kahmann aus dem Bezirk Weser-Ems hat abgewiegelt. Alles halb so schlimm. Das war seiner Meinung nach nur ein Informationsgespräch, zu dem die Stadt eingeladen hatte.
Und die Kollegen im Betrieb, wie haben die darauf reagiert?
Als dieser Brief (von Jan Kahmann) bekannt wurde, waren nicht wenige der Kollegen von der ÖTV-Spitze so enttäuscht, dass sie ihren Gewerkschaftsaustritt in Erwägung zogen. Nach Meinung der Kollegen wurde der Vorgang verharmlost. Ein Massenaustritt bei den Kollegen der WEB stand daraufhin unmittelbar bevor. Auch ich hatte kurzfristig überlegt, die Gewerkschaft zu verlassen. Wir haben uns dann aber entschlossen, eine Unterschriftenaktion zu starten, mit dem Ziel, dass der Kreisverwaltung Wilhelmshaven/Friesland und insbesondere deren Geschäftsführer Jürgen Harms die Zuständigkeit für unsere Belange entzogen wird. Es ging mir auch darum, klar zu stellen, dass entgegen der Behauptung von J. Harms der Disput sich nicht nur auf der Ebene Geschäftsführer ÖTV versus Personalräte der Stadt abspielt, sondern die gewerkschaftlich organisierten Kollegen insgesamt die Kritik der Personalräte teilen.
Wie haben die Kollegen auf diese Unterschriftenlisten reagiert?
Innerhalb von nur zwei Tagen haben von den ca. 70 gewerkschaftlich organisierten WEB-Kollegen 47 der örtlichen ÖTV-Spitze ihr Misstrauen ausgesprochen. Nur 2 Kollegen wollten definitiv nicht unterschreiben. Die anderen haben wir so schnell nicht erreichen können wegen Urlaub etc. Also, fast alle Kollegen, die wir in der Kürze der Zeit ansprechen konnten, haben sich auf der Unterschriftenliste eingetragen.
Wir, die nachfolgend genannten ÖTV-Mitglieder, wollen nicht mehr durch die Kreisverwaltung Wilhelmshaven/Friesland vertreten werden. Eine vertrauensvolle Betreuung ist u. a. wegen der Vereinbarung von Stillschweigen den Mitgliedern gegenüber, bei der Übernahme der Abfallwirtschaftsgesellschaft m.b.H. durch die Wilhelmshavener Entsorgungsbetriebe, nicht mehr möglich….
Die Kollegen des WEB, so weit sie gewerkschaftlich organisiert sind, haben sich klar von der ÖTV-Kreisverwaltung Wilhelmshaven/Friesland distanziert. Wie war deren Reaktion?
Zunächst ist es uns gar nicht gelungen, die Unterschriftenliste zu überreichen. Die Übergabe der Unterschriften hatten wir auf einer Veranstaltung der ÖTV-Senioren im Kreuzelwerk für den 17.6. 99 angekündigt. Als wir mit Vertretern der Presse zu den üblichen Geschäftszeiten zwecks Übergabe der Listen vor dem ÖTV-Büro erschienen, standen wir vor verschlossener Tür.
Du bist dann aber eingeladen worden zur wenige Tage später stattfindenden Kreisvorstandssitzung der ÖTV. Hier war spätestens die Möglichkeit, die Listen zu übergeben.
Ja, richtig, ich war eingeladen, und über die Presse hatte Jürgen Harms schon mal angedroht, dass unsere Handlungsweise „unter die Gürtellinie“ geht und „sicherlich Folgen haben“ wird. In der Tat wurden auf der Kreisvorstandssitzung wesentliche Folgen beschlossen. Zunächst habe ich dem Jan Kahmann vom Bezirk Weser-Ems die Unterschriften überreicht.
War das schon vorher bekannt, insbesondere auch, dass die WEB-Kollegen so geschlossen unterschrieben hatten?
Mein Eindruck war, dass die Anwesenden der Kreisvorstandssitzung überrascht, teilweise regelrecht entsetzt waren über diese massive Kritik seitens der Kollegen.
Was habt ihr auf dieser Kreisvorstandssitzung besprochen?
Wir haben zunächst versucht, diese ganze Geschichte noch mal aufzuarbeiten. Es gab kritische Fragen an die beiden Sekretäre Harms und Ramke. Insbesondere bezüglich deren Verhalten in der Zeit vom 21.4. 99, dem Tag des besagten vertraulichen Gesprächs mit den Vertretern der Stadt, und dem 19.5. 99, dem Tag, an dem die AWG-Umstrukturierung den Rat der Stadt passierte. Herbe Kritik gab es vor allem auch an der Tatsache, dass sich besagte Kollegen auf die Stillschweigensvereinbarung mit der Stadt eingelassen haben. Aufgabe der Gewerkschaft ist es doch, mit den betroffenen Kollegen gemeinsam auch in schwierigen Situationen nach Auswegen zu suchen. Es hätte doch zumindest auch die Möglichkeit bestehen müssen, dass die ÖTV-Sekretäre ihren Einfluss in entsprechenden politischen Gremien nutzen, um die Interessen der Kollegen zu vertreten. Stattdessen ist das Problem ausgesessen worden, bis alle städtischen Ausschüsse und der Rat der Stadt den Veränderungen zugestimmt hatten.
Wie hat der Kreisvorstand dann reagiert?
Noch während dieser Sitzung wurde ein Beschluss in Form einer Pressemitteilung von dem ÖTV-Vorsitzenden des Bezirkes Weser-Ems und den Kreisvorstandsmitgliedern formuliert. Unsere Kritik am Vorgehen der örtlichen ÖTV-Spitze ist dabei im wesentlichen bestätigt worden. Harms und Ramke haben danach nicht nur die WEB-Kollegen unzureichend und nicht rechtzeitig informiert, sondern insbesondere die Bedeutung des Themas der Bildung der Abfallgesellschaft falsch eingeschätzt.
Welche Folgen hat das nun? Ihr hattet unter anderem personelle Konsequenzen gefordert.
Der Bezirksvorsitzende der ÖTV Jan Kahmann ist gleich am nächsten Tag zu uns in den Betrieb gekommen und hat die Kollegen über den Stand der Dinge informiert. Mit anwesend war unser neuer Betreuungssekretär aus Emden /Kreisverwaltung Ostfriesland. Damit ist klar, dass die Kollegen der WEB wie gefordert nichts mehr mit der ÖTV-Kreisverwaltung Wilhelmshaven/Friesland zu tun haben werden.
Jan Kahmann hat mit dem Kollegen der WEB gesprochen. Zur Auseinandersetzung innerhalb der ÖTV und über die vereinbarte Lösung. Wie schätzt er die Zukunft insbesondere hinsichtlich der Arbeitsplatzsituation beim WEB ein?
Der Kollege teilt im wesentlichen unsere Einschätzungen und Befürchtungen. Es besteht die Gefahr, dass relativ gut abgesicherte Arbeitsplätze ausgegliedert werden. Durch tariflich vereinbarte Kündigungsschutzmaßnahmen besonders gesicherte Arbeitsplätze werden verloren gehen. Ein Teil davon könnte bei der AWG vielleicht wieder entstehen.
Wir danken für das Gespräch.
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