Sozialamt
Jul 141999
 

Fünf Millionen gespart?

Der Prüfdienst des Sozialamts soll Sozialhilfemissbrauch stoppen und bringt gelegentlich Menschen in unwürdige Situationen

(noa) Zwei Wochen lang schlief Sven K.* in einer absolut leeren Wohnung auf dem nackten Fußboden, hatte nicht einmal eine Decke. Ursula W.* konnte ihre neu angemietete Wohnung sechs Wochen lang nicht benutzen, weil sie keinerlei Einrichtungsgegenstände besaß. Und Marina J.* pendelte fast zwei Monate lang zwischen ihrer leeren Wohnung und diversen Bekannten hin und her.

Die drei kennen sich gegenseitig nicht. Was sie gemeinsam haben: Sie sind SozialhilfeempfängerInnen, haben bis vor kurzem in einem gemeinsamen Haushalt mit Partner bzw. Familie gewohnt und mussten dort ausziehen. Sie haben eine eigene Wohnung gesucht und gefunden, für die in allen drei Fällen das Sozialamt die Miete bezahlt.
Außer einer Wohnung können mittellose Menschen auch Möbel und Hausrat beanspruchen. Wer aus dem elterlichen Haushalt auszieht oder vom Partner aus der gemeinsamen Wohnung gewiesen wird, besitzt im Allgemeinen diese Dinge nicht. In manchen Kommunen bekommen die Hilfe Suchenden vom Sozialamt einen Scheck und können sich das Benötigte kaufen. In Wilhelmshaven gibt es das Möbellager des Diakonischen Werkes. Hier bekommt man in einer solchen Notsituation eine Wohnungseinrichtung, wenn man einen Berechtigungsschein vorweisen kann. Den wiederum bekommt man beim Sozialamt.
Man erhält ihn allerdings nicht, indem man einfach seine Situation schildert und seinen Bedarf anmeldet. Seit 1993 unterhält das Sozialamt der Stadt Wilhelmshaven nämlich einen Prüfdienst. Er wurde eingerichtet auf Initiative der CDU. Der Zweck des Prüfdienstes ist es, unberechtigten Bezug von Sozialhilfeleistungen zu unterbinden. Meldet nun eine bedürftige Person ihren Bedarf an Möbeln an, dann kommt – mal schneller, mal weniger bald – ein Mensch vom Prüfdienst, besichtigt die leere Wohnung und notiert, welche Möbel benötigt werden. Danach erst gibt es den Berechtigungsschein, mit dem der/die WohnungsinhaberIn zum Möbellager gehen und sich Einrichtungsgegenstände aussuchen kann.
Warum es in einem der uns bekannt gewordenen Beispiele fast acht Wochen dauerte, bis der Prüfdienst kam, ist nicht festzustellen. Laut Auskunft des Sozialamtes vergehen in der Regel nur wenige Tage zwischen der Antragstellung und der Überprüfung. Beantragt jemand, der seine Wohnung tatsächlich schon bewohnt, eine neue Waschmaschine, dürfte es wohl auch nicht schwer sein, ihn in seiner Wohnung anzutreffen. Findet der Außendienstmitarbeiter des Prüfdienstes niemanden vor, hinterlässt er eine Terminkarte. Ob es bei Frau J. und bei Frau W. daran scheiterte, dass der Sozialamts-Angestellte den angekündigten Termin nicht einhalten konnte (was bei dieser Art von Tätigkeit bestimmt oft vorkommt) und die Frauen das Warten zu schnell aufgegeben haben, ob sie eine Karte zu spät vorgefunden haben, weil sie nicht täglich zu ihren leeren Wohnungen gegangen sind, ob sie ihrerseits einen Termin verpasst haben, wissen wir nicht. Sven K. jedenfalls wartete zwei Wochen lang in seiner Wohnung. Und das deutet darauf hin, dass es doch nicht immer so prompt klappt, wie man uns gesagt hat.
Fragt sich, warum in Fällen wie diesen der Prüfdienst überhaupt tätig werden muss.
Nach der Mai-Sitzung des Sozialausschusses war in der Lokalpresse zu lesen, dass der Dienst sich lohne: „Eine weitaus positivere Bilanz als erwartet kann der Beratungs- und Prüfdienst der Stadt Wilhelmshaven aufweisen. Dieses hat das Mitglied des Ausschusses für Soziales und Gesundheit, CDU-Ratsherr Helmut Möhle festgestellt. … Fazit von Helmut Möhle: Seit dem Jahr 1993 wurden über fünf Millionen DM beim Sozialamt eingespart.“ (JeWo vom 1.6.99)
Welchen Anteil dieser stolzen Summe hätten die Menschen, die mit Hilfe des Sozialamts einen eigenen Haushalt gründeten, ohne Überprüfung unrechtmäßig gekostet? Und: Stimmt diese beeindruckende Zahl überhaupt?
Die über 5 Millionen DM ergeben sich aus der Aufsummierung der einzelnen Jahresberichte des Beratungs- und Prüfdienstes. Für das Jahr 1998 weist der Bericht (siehe Kasten) eine Einsparung von 1.186.188,79 DM aus. In diesem Betrag ist über eine halbe Million DM „Hochrechnung aus 1997“ enthalten. Es sind die Sozialhilfeleistungen, die HilfeempfängerInnen 1998 bekommen hätten, wären sie nicht in den letzten Wochen 1997 aufgrund einer Überprüfung aus dem Leistungsbezug gefallen. Dabei wird unterstellt, dass Sozialhilfeempfänger, die eine Arbeit aufgenommen haben, sich aber nicht prompt beim Sozialamt abgemeldet haben, das ganze folgende Jahr weiterhin zusätzlich zu ihrem Lohn die Hilfe zum Lebensunterhalt bezogen hätten. Zieht man diese etwas fragwürdige Zahl ab, wird die Einsparung fast halbiert.
Überdies nennt die Auswertung nur die Brutto-Einsparung. Die vier Angestellten des Beratungs- und Prüfdienstes fahren nicht nur Geld ein, sondern kosten auch Gehalt und verbrauchen Material. Für die Personal-und Sachkosten können etwa 300.000 DM im Jahr veranschlagt werden.
Der Punkt 3 der Einsparungen kann dem Prüfdienst eigentlich nicht als Verdienst angerechnet werden. „Kürzungen bei gemeinnütziger Arbeit“ heißt: Hilfeempfänger, die aufgefordert werden, für eine Aufbesserung ihrer Sozialhilfe um 2 DM/Stunde gemeinnützige Arbeit zu leisten, dieser Aufforderung aber nicht nachkommen, erleiden eine Kürzung ihrer Bezüge um 25 % – um solche Leute zu „erwischen“, muss der Prüfdienst jedoch nicht tätig werden.
Fälle wie die eingangs erwähnten tauchen, wenn überhaupt, unter Punkt 1 (einmalige Beihilfen) auf. Zu diesem Punkt gehören auch defekte Haushaltsgeräte, bei denen der Prüfdienst feststellt, dass sie nicht teuer ersetzt werden müssen, sondern preiswert repariert werden können. Die an einmaligen Beihilfen eingesparte Summe entspricht etwa 200 auf diese Weise für den weiteren Gebrauch geretteten Waschmaschinen.
Bei allem Verständnis für die schwierige Haushaltslage Wilhelmshavens: Es fällt schwer, einzusehen, warum Menschen zwei Wochen oder länger ohne Bett und Kochtopf leben müssen, wenn dieser unwürdigen Situation eine Entlastung des Sozialhilfeetats um wenige DM entgegenstehen.
*Die Namen wurden geändert. Die betreffenden Personen sind der Redaktion bekannt.

Auswertung der Tätigkeit des Beratungs- und Prüfdienstes 1998

Baratungsdienst2.071 Prüfaufträge wurden erteilt; davon wurden in 459 Fällen Einsparungen erreicht.
Insgesamt wurden durchgeführt:
1.483 Bedarfskontrollen,
248 Untersuchungen wegen vermuteter eheähnlicher Gemeinschaften,
281 Hausbesuche aufgrund unklarer Miet- und Wohnverhältnisse,
18 Hausbesuche aufgrund vermuteter Nebenverdienste,
41 sonstige Kontrollen.
Es ergaben sich Einsparungen
bei einmaligen Beihilfen: 73.126,01 DM
bei laufenden Leistungen (einschließlich Weihnachts- und Bekleidungsbeihilfen): 306.132,69 DM
durch Kürzungen bei gemeinnütziger Arbeit: 127.946,55 DM
durch Leistungseinstellung wegen anderweitiger Arbeitsaufnahme: 114.992,54 DM
Gesamteinsparungen: 622.197,79 DM
Zzgl. Hochrechnung aus 1997: 563.991,00 DM
= Einsparung gesamt: 1.186.188,79 DM

Der Name Beratungs– und Prüfdienst scheint angesichts des Berichts und der uns bekannt gewordenen Fälle eher kosmetisch als realistisch zu sein.

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