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Sep 151999
 

Eine Auseinandersetzung

(hk) Am 18. August 1999 veröffentlichte die Wilhelmshavener Zeitung einen Gastkommentar des SPD-Piraten Arend Roland Rath. Uns erreichten daraufhin viele Anrufe, in denen wir aufgefordert wurden, im Gegenwind zu „dem Schwachsinn“ Stellung zu beziehen. Obwohl Rath in seinem Kommentar gänzlich auf Argumente verzichtete, stellen wir seinen Thesen Positionen der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen gegenüber. Zu guter Letzt kam dann noch die Stellungnahme der SPD-Bundestagsabgeordneten Gabriele Iwersen. Aus allen drei Stellungnahmen bauten wir dann unsere „Auseinandersetzung“.

Roland RathArend Roland Rath: Am Sonntag gehört der Papa der Familie. Nach dem Fußball, dem Frühschoppen und dem Mittagsschlaf, aber dann bis hin zur Sportschau. Was wollen wir eigentlich? Gesetzlich vorgeschriebenes Familienglück?
Stellt Euch einmal vor, am Sonntag ist um 10 Uhr Gottes-Dienst, und alle gehen hin. Dann müssten wir schnell neue Tempel bauen, schön für die Bauwirtschaft. Da der Sonntag aber dienstfrei ist, gehen auch nicht alle zum Gottes-Dienst. Und wie ist es mit den anderen Feiertagen?
Erinnern wir uns, wie schön das früher einmal war. Damals war eben vieles besser. Das werden wir in Zukunft auch von heute wissen. Früher sind wir am heiligen Tag der Arbeitnehmer pflichtbewusst zur Maikundgebung auf den Rathausplatz und später dann in den Kurpark gegangen. Danach unternahmen wir einen gemeinsamen Marsch mit bunten Transparenten durch die Gemeinde, um anschließend bei einer Erbsensuppe im Krökelsaal über die gewerkschaftlichen Errungenschaften zu diskutieren. Heute ist der Kampftag zum kleinen Familiengrillfest im Garten des Pumpwerks verkommen.
Was wollen wir eigentlich? In erster Linie doch wohl soziale Ruhe und gesellschaftlichen Wohlstand und Arbeit, oder? Also lasst uns doch durch eine Sonntagsöffnung neue Arbeitsplätze entwickeln, ansonsten werden am Sonntag nur noch mehr Markstücke und Euros über Telefon, Fax und PC zu Queckermann und Nelle gesurft, am Wilhelmshavener Einzelhandel vorbei. Man kann jede Mark nur einmal ausgeben. Versandgeschäfte arbeiten 366 Tage im Jahr, täglich 24 Stunden.

Gabriele Iwersen:
Der Einzelhandel darf nicht als Lückenbüßer für den erlebnishungrigen Bürger dienen, den virtuelle Welt und hundert Fernsehprogramme nicht zufrieden stellen können.
hbvGewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen: Trotz längerer Öffnungszeiten kommt es zu weiterem Personalabbau, weil der Umsatz insgesamt nicht wächst. Die „Gewinner“ im Wettbewerb setzen weniger Personal ein, die „Verlierer“ bauen Personal ab. Durch die Verlängerung der Ladenöffnungszeiten 1996 wurden Zehntausende von Arbeitsplätzen abgebaut. In der Zeit zwischen 1996 und 1998 hat sich das Arbeitsvolumen im Einzelhandel um 5,8% verringert. Das entspricht einem Arbeitsplatzabbau von rd. 130.000 Vollzeitstellen.
Arend Roland Rath: Wir müssen uns auch am Sonntag öffnen, zu Gunsten von neuen Möglichkeiten und Chancen, zu Gunsten der Stadt und ihren Einwohnern, vor allem zu Gunsten von Arbeitsplätzen.
Gabriele Iwersen: Der Sonntag ist kein Einkaufstag. Der Sonntag muss in der Regel arbeitsfrei bleiben, denn jeder Mensch braucht Zeit für Muße, Hobbys, für Familie, für Freunde, die Kirche oder den Besuch auf dem Friedhof.
Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen: Eine weitere Verlängerung der möglichen Öffnungszeiten verschlechtert die Position der kleinen, mittelständischen Einzelhändler weiter. Noch mehr Geschäfte verschwinden, Einkaufsmöglichkeiten in Wohnungsnähe werden immer geringer. Verlieren können auch die Städte: Viele kleine, interessante Läden mit freundlicher und kompetenter Bedienung und Beratung werden verschwinden. Sie werden durch Filialen großer Handelsketten „ersetzt“. Der Einkauf wird immer seltener zu einem Erlebnis.
Arend Roland Rath: Arbeitnehmer und Arbeitslose! Lasst Euch nicht für dumm verkaufen. Nutzt die Chance der Sonntagsöffnung, Ihr habt das Zeug dafür, um mit Euren Chefinnen und Bossen intelligente Lösungen von Arbeit und Freizeitausgleich zu organisieren, mit Euren Kollegen und Kolleginnen zusammen.
Gabriele Iwersen: Besonders auf Frauen würden geöffnete Läden am Sonntag Druck ausüben. Er wäre ein weiterer Tag, an dem sie in der Pflicht stünden, entweder Geld hinter dem Tresen zu verdienen oder die Großeinkäufe zu erledigen. Die wenigen Stunden „Schonzeit“ würden zusätzlichen Verpflichtungen, erhöhter Anspruchshaltung und nicht nachlassender Hektik weichen.
Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen: Verlierer sind in aller erster Linie die Beschäftigten. Ihr Arbeitsplatz wird unsicherer, die Arbeitszeiten werden immer ungünstiger, die Belastungen steigen, das Einkommen reicht immer weniger, um den Lebensunterhalt aus eigener Arbeit zu bestreiten. Familienleben, Kultur und Freundeskreis werden zu Fremdwörtern.
Arend Roland Rath: Auch am Sonntag macht die Arbeit Spaß. Fragt doch mal nach, in Krankenhäusern, in der Gastronomie, bei der Polizei, an Tankstellen, im Apollo oder sonstwo. Sogar Lehrer arbeiten am Wochenende! Das sind nämlich keine faulen Säcke! Sie korrigieren Klassenarbeiten, schreiben Zeugnisse oder bereiten sich auf die kommenden Unterrichte vor.
IwersenGabriele Iwersen: Ausnahmen sollten die im öffentlichen Interesse notwendigen Dienste bleiben, wie Polizei, Krankenhäuser, Gastronomie oder bestimmte Freizeiteinrichtungen.
Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen: Die Krankenschwester arbeitet nachts und am Wochenende, weil sonst ein kranker Mitbürger nicht gesund wird oder gar stirbt. Deshalb arbeiten viele Menschen in diesen Bereichen, genauso wie in der Energieversorgung oder der Feuerwehr – rund um die Uhr, weil es nötig für das Allgemeinwohl ist. Wenn Kneipen, Kino und Kultur am Sonntag nicht stattfinden, wäre der Treff mit Freunden, der Theaterbesuch oder das Filmerlebnis tabu. Die Beschäftigten in den Bereichen akzeptieren das, weil sie den Bürgerinnen und Bürgern interessante, abwechslungsreiche und gemeinsame Freizeit ermöglichen. Aber wer leidet Not, wenn Läden wochentags um 20.00 Uhr, samstags um 16.00 Uhr schließen und am Sonntag zu bleiben?
Arend Roland Rath: Also, öffnen wir uns, am Wochenende muss man zukünftig nicht mehr telefonisch bestellen, man kann sich seine Wünsche dann direkt im freundlichen Fachgeschäft erfüllen. Und das Geld bleibt in der Region.
Gabriele Iwersen: Bereits in den letzten Jahren hat sich in den Städten ein gewaltiger Wandel vollzogen. Der Stadtbummel hat eine völlig neue Dimension gewonnen, was jedoch keine Erhöhung von Umsätzen bedeutet. Deshalb sollte man dieses Kauferlebnis nicht unbegrenzt ausdehnen. Eine Welt der Dauerbeschallung und der Supersonderangebote ist schlicht ein Alptraum.
Die kleinen und mittleren Städte sind bereits aus der letzten Änderung des Ladenschlussgesetzes als Verlierer hervorge- gangen. Die Geschäfte außerhalb der Zentren hätten zukünftig keine Überlebenschancen mehr. Damit wäre die wohnortnahe Versorgung mit den Gütern des täglichen Bedarfs der weniger mobilen Bevölkerung nicht mehr gewährleistet.
Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen: Der Einzelhandel treibt weiter in einen Abwärtsstrudel: Als klassische Dienstleistungsbranche bietet er immer weniger Dienstleistungen an, statt Service und Kundenorientierung dominiert schlichte Warenabgabe gegen Geldabgabe.
Arend Roland Rath:Ich freue mich darauf. Und am Mittwochnachmittag hat die ganze Familie frei. Dann geht’s ins Wattenmeerhaus oder nach Horumersiel ins Piratenmuseum. Um 19 Uhr muss Papa aber wieder zu Hause sein, dann ist Länderspiel.

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