Energiewende
Sep. 012011
 

Energiekrise ante portas

Die Energiewende ist in der Wilhelmshavener Parteienlandschaft nur ein Thema unter vielen

(jm) Deutschland ist in Energiewendestimmung! Landauf, landab wollen immer mehr Gemeinden ihre Energieversorgung in die eigene Hand nehmen. Sie gründen Energieversorgungsunternehmen und kaufen mit privaten Partnern die Stromnetze in ihren Demarkationsgebieten von den großen Netzkartellen (wie z.B. TenneT) zurück. Viele nutzen schon die örtlichen Energiequellen und produzieren – weil es sich lohnt – Strom aus Wind, Sonne, Wasserkraft, Biomasse oder Erdwärme.1)

Begünstigt werden diese Bestrebungen durch Fördermaßnahmen der Öffentlichen Hand, mit denen der Staat bis zum Jahre 2020 den Anteil der erneuerbaren Energien im Stromsektor auf 35% und im Kälte-/Wärmesektor auf 14% verbindlich steigern will.2) Ein Fachausschuss des ‚Forschungsverbundes Erneuerbare Energien’ 3) hat der Bundesregierung die „Vision für ein nachhaltiges Energiekonzept auf Basis von Energieeffizienz und 100% erneuerbarer Energien“ für das Jahr 2050 vorgelegt.

Leider begünstigt die Bundesregierung bei den Fördermaßnahmen mal wieder die Energiekonzerne und sonstige Finanzhaie. So z.B. die Offshore-Windparkinvestoren zu Lasten von Bürgerprojekten: „Fast klammheimlich beerdigt die Bundesregierung gerade ein Projekt, das ein wichtiger Mosaikstein bei der ehrgeizigen Energiewende werden sollte. Hausbesitzer sollten jährlich zehn Prozent der Kosten für Dämmung oder Fensteraustausch von der Steuer absetzen können.“4) „Bis 2020 soll Strom aus erneuerbaren Quellen wie Sonne, Wind, Biomasse oder Wasser mindestens 35 Prozent des Bedarfs decken. Anfang 2011 waren es rund 19 Prozent. Beim Ausbau setzt die Regierung stark auf Windparks auf hoher See, die stärker gefördert werden sollen. Auch Wasserkraft und Geothermie – Gewinnung von Strom aus Erdwärme – sollen besser vergütet werden. Im Gegenzug sinkt die Vergütung für Windkraft an Land, Biomasse und Photovoltaik.“5)

Doch wie stellt sich Wilhelmshaven den Anforderungen der Energiewende? Als Mehrheitseigner des Energieversorgungsunternehmens GEW ist die Stadt in der glücklichen Ausgangslage, über ein städtisches Strom- und Gasnetz zu verfügen. Auch in der kommunalen Strom- und Gasversorgung mit erneuerbaren Energien gibt es rudimentäre Ansätze: So wird das Blockheizkraftwerk (BHKW) im Marinestützpunkt von der GEW neben Erdgas additiv mit Klärgas aus den Faultürmen der Kläranlage im Heppenser Groden versorgt. Zudem ist die GEW im Jade-Windpark mit einem Drittel an der Stromproduktion beteiligt – zwei Drittel stammt aus den Windkraftanlagen der Firma Enercon.6)

Last but not least wird auf vielen Dächern städtischer, gewerblicher und privater Gebäude Strom und Wärme mittels Solar- bzw. Photovoltaikzellen erzeugt. Der Anteil an der Erzeugung erneuerbarer Energien auf dem Wilhelmshavener Stadtgebiet dürfte zur Zeit aber noch im einstelligen Prozentbereich liegen. Es müssten also gewaltige Anstrengungen unternommen werden, um in den verbleibenden acht Jahren einen vorzeigbaren Beitrag zu dem energiepolitischen Etappenziel der Bundesregierung bis 2020 leisten zu können. Dabei stellt sich die Frage, welche Potenziale sind in unserem Stadtgebiet vorhanden? Für weitere Windkraftanlagen sei nur noch wenig Platz vorhanden, heißt es. Zwar gibt es lt. einer Potenzialstudie der Stadt noch zehn Flächen, die für die Platzierung von Windkraftanlagen in Frage kommen, doch deren Eignung ist letztendlich fraglich. Nichtsdestotrotz plant die Stadt für Hersteller von Offshore-Anlagen einen Forschungswindpark bei Anzetel und – um die Gemüter der Zukurzgekommenen zu beruhigen, schließt man einen „geforderten Bürgerwindpark nicht aus.“ 7)

Die Stadt hat die Dächer kommunaler Gebäude für die Ausstattung mit Solar- bzw. Fotovoltaikdächern verpachtet. Leider wird hier offenbar Groß-Investoren Tür und Tor geöffnet, statt den Wilhelmshavener Bürgern z.B. im Rahmen eines genossenschaftlichen Zusammenschlusses ein Beteilungsangebot mit sicherer Rendite anzubieten. Außerdem wurde von der Stadt ein 26 Hektar großes Grundstück nordwestlich der Raffinerie (Bebauungsplan 191 – Bauens/Memertshausen) zur Verpachtung für die Installation von Fotovoltaik-Anlagen ausgeschrieben. Doch das Ganze war als Windhundrennen für Schnellentschlossene lanciert worden. Die Stadt suchte einen Pächter, der die gesamte Fläche übernimmt, „alles oder gar nichts“, lautete die Devise.8)

In Wilhelmshaven blieben bislang bei solchen Projekten die Bürger außen vor. Vielleicht gibt es ja noch weitere für Photovoltaik-Anlagen geeignete Flächen im Stadtgebiet, so z.B. der verfüllte Teil der Kraftwerksasche-Deponie auf dem Voslapper Groden, die man hiesigen Bürgern als Investitionsprojekte für einen kombinierten Solar- und Windpark offerieren könnte. Bei der Umsetzung solcher Projekte sollte man dann aber endlich mal von Handlangern der Finanzindustrie, die das benötigte Geld manchmal in Form von komplizierten Finanzprodukten bei den Kleinsparern einsammeln, Abstand nehmen. Die sind völlig überflüssig, wenn solche Projekte den hiesigen Bürgern auf direktem Wege angeboten werden, so wie es das Wangerland und Schortens mit ihrem Bürgerwindpark vormachen.9)

Über Möglichkeiten der Biogasgewinnung aus der Mülldeponie Nord gibt es dem Vernehmen nach noch keine Untersuchungen. Über Möglichkeiten der Biogasgewinnung aus Landwirtschaftsbetrieben bzw. Tiermastanlagen ist nichts bekannt. Hier wäre eine kreisübergreifende Zusammenarbeit mit Friesland zu erwägen. Über Möglichkeiten der Erdwärmenutzung in Wilhelmshaven ist nichts bekannt…

Zusammenfassend wächst der Eindruck, dass Wilhelmshaven nicht energieautark auf Basis erneuerbarer Energien werden kann. Bei einer gemeindeübergreifenden Zusammenarbeit mit den friesländischen Gemeinden sieht das schon besser aus. Friesland dürfte über überschüssige Energiepotenziale verfügen, und in Wilhelmshaven könnte man eventuell eine der Kavernen im Feld Rüstringen für die Druckluft- oder Wasserstoffspeicherung zum Ausgleich der Stromschwankungen pachten. Doch die Stadt braucht auch eine sichere Wärmeversorgung. Bislang quellen die Abgase aus zehntausenden von Schornsteinen, weil die Nahwärmeversorgung mit Blockheizkraftwerken (BHKW) sich angeblich nicht rechnet. Zwar gibt es neben dem BHKW im Marine-Stützpunkt einige weitere – allerdings mit konventionellem Erdgas betriebene – BHKW, so z.B. im Reinhard-Nieter-Krankenhaus, dem Spaßbad Nautimo sowie dem ‚Jade Schlachthof’ – um einige maßgebende zu nennen. Bald soll ein weiteres im Rahmen der Umrüstung des Gymnasiums am Mühlenweg hinzukommen. Schon da fragt man sich, warum man nicht den ganzen ehemaligen Kasernenkomplex zwischen Schelling- und Freiligrathstraße, Mühlen- und Fröbelweg mit einbezogen hat. Aber schon in der Vergangenheit hat man darauf verzichtet, Neubaugebiete mit einer Nahwärmeversorgung zuzüglich Stromerzeugung auszustatten, so z.B. im benachbarten Geschäfts- und Wohnviertel zwischen Göker-, Frieden-, Freiligrath- und Schellingstraße.

Auch für die Zukunft stehen solche Projekte in Wilhelmshaven nicht auf der Agenda. Als Grund für die Verwerfung solcher Erwägungen wird im Kern die fehlende Wirtschaftlichkeit angeführt. Im Übrigen sei ja von der Bundesregierung bis 2050 das Null-Energiehaus vorgesehen. Dies geht aus Gesprächen mit Vertretern der GEW sowie des städtischen Umweltamtes hervor. Doch die Bundesregierung traut dem vor ihr propagierten Ziel ‚Null-Energiehaus-2050’ dann doch nicht: Wie jetzt bekannt wurde, will sie auf eine entsprechende gesetzliche Festlegung verzichten. Dafür hält sie aber an dem Bau neuer ineffizienter, umwelt- und klimaschädlicher Kohlekraftwerke als Brückentechnologie fest. Und dies, obwohl der Wirkungsgrad der Kraft-/Wärmekoppelung mittels einer Gas-/Dampfturbinenanlage (GuD) 10) bei ca. 85% liegt – also fast doppelt so hoch ist wie die zwar angekündigten, aber noch nicht nachgewiesenen 46% des neuen Kraftwerks des GDF-SUEZ-Konzerns. Doch dieser uneinholbare Vorsprung in der Energieeffizienz sowie eine mögliche Verringerung der Schadstoffemissionen (inkl. CO2) spielt hierbei wohl eine untergeordnete Rolle.

Nun will die Bundesregierung ja – ab Basisjahr 1990 – bundesweit 40% der CO2-Emissionen bis 2020 und 80-95% bis 2050 einsparen.11) Folgerichtig hat der Rat der Stadt die Erarbeitung eines Klimaschutzkonzeptes für Wilhelmshaven beschlossen, mit dessen Umsetzung man voraussichtlich im Jahre 2013 beginnen kann. Immerhin: Für ihre Wärmedämm-Maßnahmen sowie Effizienzsteigerungen bei den Wärmeerzeugern hat sich die Stadt immerhin jüngst den ‚European Energie Award’ in Silber als Beitrag zum Klimaschutz erarbeitet. Bedauerlicherweise geht dieses Thema im Kommunalwahlkampf in der Fülle der in unserer Stadt angehäuften Probleme unter. Von dem sich rasant verstärkenden Klimawandel mal ganz zu schweigen: Über die sich immer deutlicher abzeichnende Zuspitzung von globalen Verteilungskonflikten um die restlichen Energieressourcen wird einfach hinweggesehen.

Es liegt also eine Fülle zu bewältigender Aufgaben vor uns, um auch Wilhelmshaven als Teil eines Ganzen wetterfest zu machen. Das Aufgabenfeld ist riesig: Neben Energieeinsparung durch Wärmedämmung, Energieeffizienz sowie erneuerbare Energien sind weitere Aufgaben anzupacken, z.B. ein verbrauchs- und emissionsarmer Kfz-Verkehr (zunächst beim städtischen Kfz-Park) sowie die Einführung eines intelligenten Stromnetzes (Smart Grid) 12) und Energiespeicherung. Dies wird umso besser gelingen, je mehr sich die BürgerInnen mit ihrem Wissen einbringen und/oder sich mit ihrem Ersparten an sinnvollen Energiewende- bzw. Klimaschutzprojekten beteiligen.

Es ist zu hoffen, dass nach den Kommunalwahlen Persönlichkeiten in den Rat einziehen, die – im Rahmen der Umsteuerung unserer Energieversorgung – eine Agenda „Energien in Bürgerhand“ beschließen und diese nachhaltig und energisch vorantreiben. Wenn es dadurch gelingt, die Bürger mit ins Boot zu holen, dann wäre dies nicht nur ein Beitrag zur Energiewende in Zeiten steigender Energiepreise infolge des rasant steigenden Bedarfs der Schwellenländer, sondern auch eine sichere Geldanlage für die Bürger, durch die sie sich den Turbulenzen des Kasinokapitalismus entziehen können.

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1) http://www.kommunal-erneuerbar.de/ 2) aus „Nationaler Aktionsplan für Erneuerbare Energien“ des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit – Stand Januar 2011 http://www.bmu.de/dossier_energie/natuerlich_erneuerbar/doc/46342.php 3)Forschungsverbund Erneuerbare Energien http://www.fvee.de/ „Vision des FVEE für ein 100% erneuerbares Energiesystem“ (Juni 2010) 4WZ, 26.08.11 5BUND, 20.07.11 http://www.bund.net/bundnet/ 6Auskunft GEW in einem Gespräch am 08.08.11 7)WZ, 16.06.11 8) WZ, 26.05.11 9) http://www.friesenenergie.de/Aktuelles.aspx 10) http://de.wikipedia.org/wiki/GuD 11)Statusbericht zur Umsetzung des Integrierten Energie- und Klimaschutzprogramms der Bundesregierung http://www.uba.de/uba-info-medien/3971.html 12) http://de.wikipedia.org/wiki/Intelligentes_Stromnetz

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