Landesbühne 1
Nov 101999
 

Kain, Karnickel und Kartoffeln

„Die Schöpfung“ im Stadttheater – ein gewagtes Spiel?

(iz/noa) Die Schöpfung als solche war ein absoluter Flopp. Wer das noch immer nicht kapiert oder akzeptiert hat, sollte das gleichnamige Stück nicht versäumen, das derzeit als deutsche Erstaufführung an der Landesbühne gespielt wird – und alles andere als ein Flopp ist. „Co-Referent“ unserer Rezension ist ein evangelischer Pastor, den wir auf der Premierenfeier trafen.

Das Stück hat seinen Ursprung in altenglischen „Mystery Tales“. Im 14. Jahrhundert erlaubte der Klerus dem gemeinen Volk, außerhalb der Kirche, also auf der Straße, religiöse Stücke zu spielen. Dabei mischten sich biblische Überlieferungen mit sogenannten Legendas. Theater galt bis zu der Zeit als Sündenpfuhl schlechthin. Und allein Schriftgelehrte besaßen die Macht, die hebräischen und griechischen Überlieferungen zu lesen und in ihrem Sinne auszulegen. Durch die Entmystifizierung der „heiligen“ Geschichten und ihrer Protagonisten konnten auch einfache Menschen eine wirkliche Beziehung dazu aufbauen. Erst recht, weil das Publikum in das Spielgeschehen einbezogen wurde. Diesen historischen Ansatz ins heutige Theater zu übertragen, in die heutige Zeit zu vermitteln, ist der Übersetzung und der Inszenierung gelungen.
All die bekannten, zwar fehlbaren, aber immer noch übermenschlichen Promis wie Adam, Abraham, Noah, Moses, Maria und Josef geben ihren Heiligenschein gewissermaßen an der Garderobe ab und zeigen allzu menschliche Regungen. Sie finden sich mit den Proben, die Gott ihnen auferlegt, nicht so leicht ab, wie es geschrieben und gelehrt wurde. Noah hatte sich so auf den Ruhestand gefreut – freilich ist er stinkig, dass er plötzlich noch einen Riesenkahn bauen soll. Abel hat sich bei der Auswahl der Opfergaben etwas vergriffen – für sich ein zerknautschtes totes Karnickel und für seinen Bruder eine Handvoll Kartoffeln, die weder EG-Normen noch Gottes Urteil standhalten können. Moses, völlig entnervt, weil er trotz seines (historisch belegten) Sprachfehlers gestelzt zu Gott sprechen und dann noch 10 Steintafeln durch die heiße Wüste schleppen soll. Josef nimmt es nicht so gelassen hin wie gemeinhin angenommen, dass seine Frau ohne sein Zutun einen dicken Bauch bekommt – blind vor Eifersucht haut er Maria den ihr zugedachten Blumenstrauß um die Ohren. Und sie selbst kann die biologische Unmöglichkeit nur deshalb akzeptieren, weil sie, wie sie selbst sagt, der schlichteste Mensch unter der Sonne ist.
Die Tollpatschigkeit der Entheiligten, vom Ensemble in gekonnten Slapstick umgesetzt, ist zum Brüllen komisch. Doch liegen, wie im richtigen Leben, komische und tragische Elemente dicht beieinander. Und so leidet man wirklich mit Abraham und seinem Sohn Isaak, den er, als Probe Gottes, töten – opfern – soll, und das ist, bei aller Gottesfurcht, kein Pappenstiel.
Leider ist der Zuschauer durch einen krassen Bruch zwischen dem ersten, vorwiegend komischen, und dem zweiten, eher nüchternen bis tragischen Teil, überfordert. Dadurch kommt der zweite Teil in der Wahrnehmung des Publikums – gemessen am Applaus – zu schlecht weg.
schöpfungVon uns jedenfalls ein ausdrückliches Lob. An den Übersetzer Simon Werle, der feinfühlig aus der mittelhochenglischen Fassung eine ganz eigene Sprache für die deutsche Bühne entwickelt hat. An „Gott“ Johannes Simons, der von allen Darstellern diesen Text am stärksten mit Leben erfüllt. An Dorin Kroll für Bühnenbild und Kostüme, die im Hinblick auf den historischen Hintergrund – Straßentheater – sehr authentisch sind: Den Schauspielern wird der fliegende Wechsel von „Zuschauern“ zu Akteuren ermöglicht. Lob auch an den „Mann im Hintergrund“, Philipp Danzeisen, der mit Schlagzeugbegleitung in jeder Sekunde einfühlsam präsent ist. Einziger Schwachpunkt der Besetzung ist Ute Wieckhorst, die in jedem Stück sich selbst spielt und speziell mit dieser Vorlage überhaupt nicht zurande kommt.
Unsere Anerkennung gilt vor allem der Regisseurin Mirjam Neidhart, die den Stoff aus England mitbrachte und sich traute, ihn hier in Szene zu setzen. Wobei sie hinter den religiösen Überlieferungen unser aller kulturgeschichtliche Wurzeln sieht – egal, ob man noch Anhänger der Kirche ist oder nicht. Zu der Inszenierung gehört Mut, weil eingefleischte Christen ohne Sinn für Anliegen und Hintergründe das Ganze als Blasphemie missverstehen und ernsthaft gekränkt sein könnten. Insofern waren wir gespannt auf die Einschätzung des Pastors. Der zeigte sich total (positiv) berührt durch das Stück, und es entspann sich ein lebendiges Gespräch, das nicht unwesentlich zum Inhalt dieses Artikels beigetragen hat. Dabei ging es auch um Fragen wie: Ist Unfruchtbarkeit nicht heute noch ein Makel? Haben Maria und Josef sich die Story mit dem Engel nur ausgedacht, um angesichts gestrenger gesellschaftlicher Normen eine Schwangerschaft trotz fehlender ehelicher Kontakte rechtfertigen zu können? Ist es zulässig bzw. aus der Religionsgeschichte begründbar, Gott personifiziert auftreten zu lassen?
So hoffen wir, dass viele Schulklassen sowie viele Kirchengemeinden das Stück besuchen werden – es bietet Stoff für zahlreiche Erkenntnisse und stundenlange Gespräche. Wie wäre es mal mit Aufführungen sonntags nach dem Gottesdienst?
„Die Schöpfung“ Mo, 8.11., Mi, 17.11., Mi, 9.12., Sa, 18.12., Di, 21.12., jeweils 20 Uhr im Stadttheater.

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