No future
Sep 052000
 

Einen Griff ins Klo

der kleinbürgerlichen Vorurteile meldete die „WZ“ am 16. August: In einem Artikel über Wohnungslose, die sich u.a. im Kurpark und am Bordumplatz aufhalten, wird SPD-Fraktionsvorsitzender Siegfried Neumann zitiert. „Wir können doch nicht zulassen, dass die Bürger auf diese Weise gequält werden“, sagt er da und meint, für viele aus diesem Kreis sei Arbeit die „größte Strafe“.

Der bewusste Artikel von Hans-Jürgen Schmid mit der Überschrift „Zwischen objektiver Gefahrenlage und subjektivem Sicherheitsgefühl“ war übrigens recht gut. Er brachte zum Ausdruck, dass die tatsächliche Gefahr, die von den wohnungslosen Menschen ausgeht, verschwindend klein ist. Die Aufgeregtheit der Bürger und Bürgerinnen angesichts von Gruppen Bier trinkender meist männlicher Wohnungsloser an einigen Plätzen der Stadt geht häufig auf das Vorurteil zurück, nur arbeitsscheue Leute endeten als „Penner“.
In Wirklichkeit sind die meisten Wohnungslosen, die im Lauf der Zeit auch durch Wilhelmshaven kommen und sich hier dann für einige Zeit aufhalten, erstaunlich angepasst. Die meisten erkennt man gar nicht als Nichtsesshafte, wenn sie durch die Stadt gehen.
417 Wohnungslose, 364 davon Männer, hat die Anlaufstelle der Diakonie in der Weserstraße im Jahr 1999 betreut. Täglich kommen zwischen zehn und dreißig Leute, die „Platte machen“, hier an. Hier wird ihnen ihre Sozialhilfe ausgezahlt, und von hier aus werden bei Bedarf Arztbesuche veranlasst. Der Gesundheitszustand der Leute, die den Tagesauf- enthalt der Diakonie nutzen, ist manchmal erschreckend; es gab schon Todesfälle wegen Tuberkulose.
Leute, die wegen Arbeitsunlust obdachlos geworden sind, sind selten dabei; ebenso selten sind es Leute, die sich das Leben auf der Straße, ohne Arbeit, ohne Familie, ohne regelmäßige Verpflichtungen bewusst ausgesucht haben. Kurz aufeinander folgende Schicksalsschläge wie der Verlust eines Angehörigen und Arbeitslosigkeit können jede/n von uns aus der Bahn werfen; die meisten von uns haben aber das Glück, dann aufgefangen zu werden von Freunden oder Ver- wandten. Mit etwas Pech landet man dann aber auf der Straße und wird obdachlos. Wer ein solches Leben schon seit einigen Jahren führt, ist wohl nicht mehr in ein bürgerliches Dasein zurückzuführen. Schmid zitiert eine Dame, die beobachtet hat, dass die Leute, die sich an den bewussten Plätzen aufhalten, immer jünger werden. Wenn dies zutrifft, dann sollte uns das zu denken geben. Überlegungen, wie junge Leute der no future-Generation eine Lebensperspektive bekommen können, wären da hilfreicher als der Ruf nach Ordnungsmaßnahmen. (noa)

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