Substitution
Nov 212000
 

Eine Methadon-Abgabestelle muss her!

Drogenkranke nehmen ihr Medikament öffentlich

(ft/noa) Seit Mitte Oktober findet die Ausgabe des Drogenersatzstoffes Methadon an Heroinabhängige samstags und sonntags öffentlich statt. Der Arzt Johann Janssen, der seine Praxis in Fedderwardergroden hat, kommt am Vormittag für eine Stunde in die Stadt und versorgt seine Patienten auf dem Rathausplatz. Was soll das?

Die an dieser Aktion Beteiligten verteilen ein Flugblatt, auf dem sie erläutern: „Wir sind der so genannte harte Kern der Drogenabhängigen aus Wilhelmshaven, das heißt, wir müssen täglich irgendwo unser Ersatzmittel Methadon abholen. Jetzt hat uns die Diakonie die Tür vor der Nase zugeschlagen und wir müssen wieder zu unserem Arzt nach F-Groden fahren. … Heute stehen wir hier, um eine Methadonabgabestelle zu fordern.“
methadonBis Mitte September hat das Diakonische Werk das Methadon ausgegeben, dann aber sehr kurzfristig den Vertrag gekündigt und damit die Süchtigen und die beiden einzigen Ärzte, die sich dieser Patientengruppe annehmen, in die Situation gebracht, „von jetzt auf gleich“ einen neuen Modus der Versorgung finden zu müssen.
Augenblicklich bekommen die Junkies ihr Methadon beim Arzt. Für die Patienten von Johann Janssen heißt das, sie müssen täglich nach F-Groden fahren. Dazu sagt eine Abhängige: „Ich hoffe, dass wir bald eine Apotheke oder einen mobilen Bus als Ausgabestelle bekommen. Jedes Mal weite Strecken in Kauf zu nehmen, kostet Zeit und Geld. Das geht auf die Psyche. Wenn man morgens aufsteht, ist man sofort auf Entzug. Erst eine Stunde nach der Methadoneinnahme fühlt man sich gut. Da ist es wichtig, eine Ausgabestelle in der Nähe der Wohnung zu haben. Das Gesundheitsamt müsste in die Verantwortung genom- men werden.“
Ob das Gesundheitsamt dafür verantwortlich ist oder welche Institution sonst, ist unklar. In vielen Städten jedenfalls arbeiten die Gesundheitsämter mit den Ärzten zusammen in der Weise, dass sie die den Drogenkranken ihre tägliche Dosis Methadon geben. Hingegen gibt es (außer Wilhelmshaven) kaum einen Ort, an dem die Ausgabe in Arztpraxen stattfindet.
Selbst das wäre kein so großes Problem, wenn es mehrere Ärzte und Ärztinnen gäbe, die je einige wenige drogenkranke Menschen behandeln würden. Doch die Teilnahme am Methadonprogramm ist nicht nur für die Kranken an Bedingungen geknüpft, sondern auch für Mediziner: Sie müssen eine entsprechende Fortbildung besucht haben. Und das haben bislang nur zwei Wilhelmshavener Ärzte, außer Janssen nur Dr. Wieczorek. Von diesen beiden behandelt Janssen den größeren Teil der Drogensüchtigen; 20 überwiegend in der Stadtmitte wohnende Patienten müssen jeden Vormittag zu ihm nach F-Groden fahren. Was ihnen damit zugemutet wird, bringt eine Ex-Userin zum Ausdruck: „Durch das Methadonprogramm versuche ich von den Drogen weg zu kommen. Ich habe schon wieder einen Job und will auch arbeiten. Deshalb wäre eine zentrale Abgabestelle sehr wichtig. Gerade wenn man morgens zur Arbeit muss, kostet es zu viel Zeit, erst in den Norden der Stadt zu fahren. Die Praxen machen ja auch nicht so früh auf.“
Ein anderer Junkie fordert: „Wir brauchen einfach mehr Ärzte in Wilhelmshaven, die sich am Methadonprogramm beteiligen. Zwei sind einfach zu wenig. Und wir brauchen dringend eine neue Abgabestelle und auch mehr Verständnis von der Stadt. Alle anderen Städte, in unserer Nachbarschaft z.B. Varel oder Heidmühle, sind da viel weiter. Hier in Wilhelmshaven gibt es zu viele Junkies und zu wenige Methadon-Ärzte. Dadurch wird bald der Schwarzmarkt boomen. Dies wird ein Problem der Stadt werden.“  Foto: Frank Tunnat

Kommentar:

Kultur und Humanität
Methadon ist ein Opiat, ebenso wie Heroin. Im Unterschied zu Heroin versetzt es den Benutzer nicht in einen Rausch. Es unterdrückt jedoch die Entzugssymptome, die einen Heroinsüchtigen immer wieder zur Spritze greifen lassen. Mit Hilfe von Methadon kann ein hartdrogenabhängiger Mensch wieder ein beinahe normales Leben führen, kann einer Arbeit nachgehen und soziale Beziehungen pflegen. Methadon gibt es jedoch nicht einfach auf Rezept, sondern die Drogenkranken müssen ihre tägliche Dosis in Gegenwart eines Arztes einnehmen.
Keinem anderen chronisch Kranken wird zugemutet, täglich eine Stunde oder länger unterwegs zu sein, auf eigene Kosten mit dem Bus zu seinem Arzt zu fahren, um dort sein Medikament zu bekommen. Ein Diabetiker muss jeden Tag Insulin spritzen. Er holt eine Ration für einige Wochen aus der Apotheke ab und spritzt sich die tägliche Dosis selbst.
Bei hartdrogenabhängigen Patienten besteht die Gefahr, dass sie, wäre es für sie ähnlich geregelt, ihr Medikament nicht selbst nehmen, sondern auf dem Schwarzmarkt verkaufen könnten und am nächsten Tag, „einen Affen schiebend“, wieder Heroin spritzen würden. Deshalb sieht das Methadonprogramm ihre Beaufsichtigung und Gängelung vor. Das mag berechtigt sein. Dass man es ihnen aber so schwer wie möglich macht, ist nicht berechtigt.
Warum geht man so mit Drogenkranken um? Weil sie ihre Krankheit selber verschuldet haben? Woher nehmen wir das Recht, sie dafür härter zu bestrafen als andere Kranke, die durch ihre Lebens- und Ernährungsweise ihre Krankheiten selber verschuldet haben?
Das Flugblatt der Junkies endet mit den Worten: „Der Umgang mit Minderheiten ist die Messlatte für Kultur und Humanität in unserer sozialen Gesellschaft.“ Stimmt.

Anette Nowak

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