Geisterstadt am Meer?
Deutschland schrumpft, und Wilhelmshaven schrumpft besonders stark.
(noa) Die Bundesregierung warnt im „Berufsbildungsbericht 2001“ vor einem Fachkräftemangel in den nächsten Jahrzehnten, berichtete die „WZ“ am 5. Februar. Und schon am 17. Januar hatte die „WZ“ gemeldet, dass in Wilhelmshaven die Zahl der Grundschüler besonders im Süden der Stadt zurückgeht und auch die Orientierungsstufen Schüler verlieren. Die Schließung der Helene-Lange-Schule wegen sinkender Schülerzahlen im letzten Jahr ist noch vielen in Erinnerung.
Diese und zahlreiche weitere Vorgänge stehen in einem Zusammenhang, den wir im Mai 2000 (Ausgabe 158, „Down Town?“) und im Oktober 2000 (Ausgabe 162, „Lieber nach Amerika“) schon einmal dargestellt haben: Deutschland schrumpft, und Wilhelmshaven schrumpft erst recht.
Im Bundesland Niedersachsen werden im Jahr 2015 nach einem zwischenzeitlichen leichten Anstieg der Bevölkerung etwa so viele Menschen leben wie 2000. Die Verteilung dieser ca. 7,9 Millionen nach Altersgruppen wird sich allerdings massiv verändern: Die über 65-Jährigen werden als einzige Altersgruppe zahlreicher vertreten sein als heute (etwa 130% gegenüber 1999); Menschen im erwerbsfähigen Alter zwischen 18 und 65 wird es etwas weniger geben als jetzt; einen Rückgang um fast ein Fünftel wird es bei den unter 18-Jährigen geben.
Diese Veränderungen treten in Niedersachsen ungleich verteilt auf. Zusammen mit den kreisfreien Städten Braunschweig, Salzgitter und Wolfsburg und den Kreisen Goslar und Osterode wird die kreisfreie Stadt Wilhelmshaven den stärksten Verlust an Wohnbevölkerung erleben. Mehr als 10% der bisherigen BewohnerInnen dieser Städte/Kreise werden bis zum Jahre 2016 weggezogen oder verstorben und nicht durch die entsprechende Anzahl an Geburten ersetzt sein.
Wilhelmshaven wird es überdurchschnittlich treffen. Lebten am 1.1.1999 noch 87.590 Menschen hier, werden es zum 1.1.2016 nur noch 70.530 sein. Wir werden also jährlich 1000 MitbürgerInnen durch Sterbeüberschuss oder Wegzug verlieren.
Unser städtisches Amt für Statistik veröffentlicht regelmäßig Angaben über die Einwohnerstruktur Wilhelmshavens. Diesen Angaben zufolge sind wir übrigens schon erheblich weniger Menschen hier als nach der Untersuchung des Landesamtes für Statistik: Zum 01.01.01 fehlen in der Wilhelmshavener „Stadtistik“ 1650 Personen gegenüber den Angaben aus Hannover
Klingt all das schon dramatisch genug, so wird es noch erschreckender, wenn man die Verteilung der Bevölkerung nach Altersgruppen damals und dann vergleicht:
Die Kinder und Jugendlichen stellten 1999 noch einen Anteil von 16,9% der Gesamtbevölkerung Wilhelmshavens. 2016 wird ihr Anteil nur noch 12,1% betragen. Ca. 64,4% der Wilhelmshavener waren 1999 zwischen 18 und 65 Jahre alt. Im Erwerbsalter werden 2016 nur noch ca. 60% der Wilhelmshavener sein.
Der Anteil der über 65-Jährigen jedoch wird von 18,7% auf 27,9 % steigen.
Gleich nach dem Erscheinen der Untersuchung im Mai letzten Jahres erklärte sie, dass sie dem Wanderungsverlust durch die Ausweisung neuer Wohngebiete Einhalt gebietet, dass die These eines „Speckgürtels“ um Großstädte nicht unbedingt stimmen muss und dass bisherige Trends ja nicht unbedingt weiterbestehen müssen.
Nun kann man sich ja gegen schlechtes Wetter warm und wasserdicht anziehen, und gegen die Sturmflutgefahr baut man gute Deiche. Gegen die Abnahme der Bevölkerung durch das Geburtendefizit (es werden weniger Kinder geboren als alte Leute sterben) gibt es diese einfachen Mittel nicht. Im „Weltspiegel“ vom 4. Februar wurde zwar darüber berichtet, wie der Staat Singapur sich als Heiratsvermittler betätigt und seine jungen MitbürgerInnen verkuppelt und zum Kinderkriegen anhält, um den Ersatz für die jetzige Bevölkerung in der Zukunft sicherzustellen, aber in Deutschland funktioniert so etwas erstens nicht, und zweitens hätte es schon stattfinden müssen, um jetzt wirksam zu sein.
Laut ihrer Erklärung aus dem letzten Mai „ist die Stadt Wilhelmshaven seit längerem intensiv darum bemüht, Prognosen und Trends eine positive Wirklichkeit folgen zu lassen.“ Das einzige, wofür man da etwas tun kann, ist, Bevölkerungsverluste durch Abwanderung so gering wie möglich zu halten und vielleicht sogar zusätzliche Menschen von außerhalb hierher locken. Das tun aber alle anderen Regionen auch schon. Und die in den letzten Jahren aus Wilhelmshaven abgewanderten jungen Leute befinden sich jetzt in den Städten/Kreisen, die noch einen Zuwachs oder wenigstens eine Stagnation verzeichnen können.
Es geht nicht einfach darum, z.B. einen Containerhafen zu planen und Arbeitskräfte anzuwerben, das Tourismusgewerbe zu fördern und neue Bildungsinstitutionen anzusiedeln, immer mehr Natur zu zubetonieren und neue Wohngebiete zu bauen, sondern das geschieht in einer erbitterten Konkurrenz gegen andere Städte, die dasselbe Problem haben. Und es ist klar, dass es da mehr Verlierer als Gewinner, langfristig sogar nur Verlierer geben wird.
Anette Nowak
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