Armut und Obdachlosigkeit – Fachleute fordern: Das Hilfspotential muss wachsen
(ub) Das Förderprogramm „Soziale Stadt“ geht bekanntlich in die Südstadt und den Stadtteil Bant. Ein Grund: Hier ist die Armut besonders groß. Von den ca.10.000 Menschen, die hier wohnen, sind 35% arbeitslos, und 32% der BewohnerInnen beziehen Sozialhilfe. Eine Arbeitsgruppe der Stadtteilkonferenz (siehe Kasten) hat sich mit Armut und Obdachlosigkeit in diesen Stadtteilen beschäftigt. Ihr Bericht gibt einen Einblick in Schicksale besonders von jungen Betroffenen und fordert mehr professionelle Hilfsmöglichkeiten im Brennpunkt Südstadt.
Im letzten Gegenwind haben wir in dem Artikel „Flair des Kaputten“ beschrieben, welche wirtschaftlichen und sozialen Missstände dazu geführt haben, dass die sowohl vom Stadtnorden als auch der Südstadt heiß umworbenen Fördermittel aus dem Programm „Soziale Stadt“ der Südstadt und dem Stadtteil Bant zu Gute kommen. Die im Auftrag des Stadtplanungsamtes vom Forschungsinstitut Region und Umwelt (FORUM) der Carl-von-Ossietzky-Universität Oldenburg durchgeführte Untersuchung bescheinigt dem zukünftigen Fördergebiet eine dramatische Brennpunktstellung in Wilhelmshaven. Die Arbeitslosenquote übersteigt das Zweifache des städtischen Durchschnitts. Gleich viermal höher als im Durchschnitt des Stadtgebietes ist die Zahl der Sozialhilfeempfänger. Die Macher der Studie sprechen von zunehmender Verarmung und beobachten das Wachsen einer brisanten Mischung aus wirtschaftlicher Not, Kriminalität und Drogenproblematik.
Eine „Arbeitsgruppe Armut der Stadtteilkonferenz Südstadt/Bant“ hat sich dem Thema Armut und Obdachlosigkeit gewidmet. Pädagogische Mitarbeiterinnen aus verschiedenen sozialen Einrichtungen haben sich in dieser Arbeitsgruppe zusammengefunden. Herausgekommen ist ein Bericht, der eindringlich beschreibt, was es bedeutet, in Armut und obdachlos zu leben. „In anonymisierten Fallstudien sollen den TeilnehmerInnen der Stadtteilkonferenz die Problematiken und die Schicksale der akut von Armut, Obdach- und Wohnungslosigkeit betroffenen jungen Menschen vor Augen geführt werden“ (Auszug aus der Tischvorlage der Arbeitsgruppe).
Berichtet wird von dem 20-jährigen Carsten, der seit 2 Jahren u. a. wg. Drogenmissbrauch im Knast in Nordrhein-Westfalen einsitzt. Die Eltern sind geschieden. Die Mutter ist weggezogen. Der Vater will seinen Sohn nach dessen Entlassung nach Wilhelmshaven zurückholen. Er selbst lebt mit neuer Lebenspartnerin und kleinem Kind in beengten Wohnverhältnissen und kann seinem Sohn allenfalls übergangsweise einen Schlafplatz anbieten. Ohne Hilfsangebote ist die Gefahr groß, dass Carsten ohne Job und ohne Geld wieder in kriminelle Kreise gerät.
Marcel ist 17 Jahre alt. Seine Eltern leben getrennt. Mehrere so genannte Jugendhilfemaßnahmen sind bereits gescheitert. Die Schule hat er ohne Abschluss abgebrochen. Eine berufliche Perspektive ist derzeit nicht erkennbar. Marcel lebt phasenweise bei Freunden und Bekannten, manchmal auch auf der Straße. Er ist im Prinzip obdachlos.
Der 19-jährige Stefan, das dritte Fallbeispiel der Arbeitsgruppe, wurde zu Hause rausgeschmissen, nachdem die familiären Dauerkonflikte unerträglich geworden waren. Wenn es Streit gab, schlug der Vater zu. Stefan ist darauf angewiesen, im Freundeskreis zumindest phasenweise einen Schlafplatz zu finden. Seine Schulausbildung bricht er ab, weil er sich mit kleinen Jobs Geld verdienen muss. Das Sozialamt hält eine Rückkehr in den elterlichen Haushalt für zumutbar und verweigert Hilfezahlungen. Briefe vom Arbeitsamt und andere wichtige Post erreichen ihn oft gar nicht oder zu spät, weil er überall nur vorübergehend geduldet wird.
Diese und andere von der Arbeitsgruppe zusammengetragene Beispiele machen deutlich: Gerade junge Menschen sind mit der schwierigen Situation plötzlicher Notlagen überfordert. Und: Wer „nicht auf der Sonnenseite des Lebens geboren wird und aufwächst, nichts oder das Gegenteil dessen erlebt und erfährt, was zu gut behüteten und geordneten Verhältnissen zählt, wer also zum Kiosk geschickt wird, um für die Eltern Alkohol und Zigaretten zu beschaffen, statt zur nächsten Buchhandlung, um das neue „Harry Potter“-Buch zu erstehen, wer einen Anbrüller oder einen Tritt erhält statt Ansprache und Zuwendung…, hat schlechtere Chancen, mit Problemen und Krisen fertig zu werden, sich Hilfe zu organisieren oder Hilfe zu erhalten.“ (Auszug aus dem Bericht der Arbeitsgruppe)
Das Anliegen der TeilnehmerInnen der Arbeitsgruppe ist es deshalb auch, zu verdeutlichen, dass zur Qualitätssicherung in der Jugendsozialarbeit der Ausbau des Beratungs- und Unterstützungsangebotes besonders im sozialen Brennpunkt unbedingt notwendig ist. Die Autoren der oben zitierten FORUM-Studie prognostizieren für die Stadtteile Südstadt und Bant eine zunehmende Verarmung der Bewohner. Sie befürchten eine weiter zunehmende Konzentration von Problemgruppen in diesen Stadtteilen. Sowohl die Studie des Forschungsinstituts der Oldenburger Uni als auch die Erkenntnisse der Arbeitsgruppe Armut der Stadtteilkonferenz Südstadt/Bant bekräftigen die Notwendigkeit, dass in den nächsten Jahren mit einem erheblichen Teil der erwarteten 7,5 Millionen DM aus dem Förderprogramm „Soziale Stadt“ entsprechende Beratungs- und Unterstützungseinrichtungen subventioniert werden müssen.
Die „Arbeitsgruppe Armut der Stadtteilkonferenz Südstadt/Bant“ lädt ein zur
Info- und Diskussionsveranstaltung
am Dienstag, den 08. Mai 2001 um 17:00 Uhr in das Banter Bürgerhaus, Marktstr. 161
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