Nazis machen kehrt!
Den folgenden Text haben wir der neuen Ausgabe des Oldenburger Stachel entnommen
Oldenburger Naziaufmarsch wegen Widerstand abgebrochen
Für Samstag, den 27. September, 12.00 Uhr hatte die Oldenburger NPD einen Aufmarsch vom Bahnhofsviertel über den Lappan, Heiligengeist-, Theater- und Schloßwall mit Abschlußkundgebung auf dem Schloßplatz angemeldet. Als Redner hatte sich unter anderem der Hamburger Neofaschist Christian Worch angemeldet. Eine, wenn nicht die(!), Führerfigur der rechtsradikalen Kameradschaftsszene.
Doch schon mehr als eine Stunde, bevor die Nazis ihre Auftaktkundgebung in der Raiffeisenstraße begannen, war die geplante Aufmarschroute dicht. Über 500 GegendemonstrantInnen hatten sich auf dem Heiligengeistwall, Höhe Lappan, von mehreren Hundertschaften Polizei einkesseln lassen. Und überall im Bahnhofsviertel und in der Innenstadt gab es weitere Kleingruppen von GegendemonstrantInnen. Insgesamt waren es weit über 2.000 Menschen, die an diesem Tag gegen den Naziaufmarsch in Oldenburg auf die Straße gingen. Die allermeisten von ihnen OldenburgerInnen! Nur einige Dutzend Antifas waren aus Bremen und anderswo angereist.
Im Gegensatz dazu sah die Mobilisierung der NPD und der Kameradschaften recht ärmlich aus. Statt der angekündigten 150 versammelten nur etwa 80 Rechte im weiträumig abgesperrten Bahnhofsviertel.
Mensch muß sich fragen, warum die Polizei die meisten von ihnen überhaupt dorthin gelassen hat. Weil ihnen die direkte Anfahrt nach Oldenburg zu heikel erschien, waren etwas mehr als 60 der Nazis erst mit dem Auto nach Bad Zwischenahn gefahren, wo sie von über einer Hundertschaft Polizei vor einer Hand voll GegendemonstrantInnen abgeschirmt wurden, und hatten sich dort in den Zug nach Oldenburg gesetzt. Wobei lediglich zwei von ihnen dem Schaffner eine gültige Fahrkarte vorweisen konnten. In Oldenburg ließen sie sich dann erstmal über ein halbes dutzend Fahnen mit verbotenen Symbolen (u.a. Reichskriegsflaggen) sowie einen Stahlknüppel von der Polizei abnehmen und gingen dann gut bewacht und beschützt zu ihrer Kundgebung. Nur der Typ, der den Totschläger dabeihatte, mußte vorübergehend auf die Wache.
Mensch stelle sich einmal vor, 60 KurdInnen wollten ohne Fahrkarte und mit einem halben Dutzend Fahnen, die das verbotene PKK-Sympol zeigen, zu einer Demonstration fahren. Sie würden vermutlich sofort aus dem Zug geworfen und festgenommen, dürften wegen Schwarzfahrens Bußgeld zahlen und bekämen ein Strafverfahren wegen Werbens für eine terroristische Vereinigung. Wenn es nach Herrn Schily ginge, würden sie bestimmt umgehend in den Folterstaat Türkei abgeschoben. Doch die Nazis konnten ihre Kundgebung, wenn auch mit Verspätung, so doch ungestört, beginnen.
Dafür verlief ihr Aufmarsch alles andere als ungestört. Da die ursprüngliche Route durch den Kessel mit den Antifas am Lappan blockiert war, legte die Polizei eine neue, einfacher zu sichernde Strecke fest: über Osterstraße, Staugraben und Huntestraße zum Schloßplatz. Und bis das alles abgeriegelt war, verging erstmal eine gute Stunde.
Dennoch verlor die Polizei, kurz nachdem der Aufmarsch dann endlich gestartet war (die paar Nazis sah mensch vor lauter Polizei kaum), die Kontrolle über die Situation. Immer mehr Menschen sammelten sich am Stautorkreisel und die Einsatzleitung mußte den Kessel am Lappan auflösen, um genug BeamtInnen zum Absperren der Strecke zu haben. Der Kessel war sowieso immer kleiner geworden. In drei größeren und vielen kleinen Ausbrüchen, bei denen es insgesamt mindestens 5 verletzte DemonstrantInnen gab, waren etwa 200 Leute daraus entwichen.
Als nun auch der aufgelöste Restkessel am Stautorkreisel ankam, und alle möglichen Menschen über Seitenstraßen, Hinterhöfe und Gärten trotz Polizeiabsperrungen noch ihren Weg dorthin fanden, waren plötzlich über 2.000 GegendemonstrantInnen zwischen Hafen und Berliner Bad. Es gab Sitzblockaden auf der Ausweichstrecke der Rechten. Und einige tobten sich mit ein paar Miniaturbarrikaden sowie kurzzeitig mit Eier- und Flaschenwürfen und einer Leuchtrakete aus. Diese Leuchtrakete traf übrigens nur deshalb drei GegendemonstrantInnen nicht, weil einer der drei sie rechtzeitig bemerkte und die anderen warnen konnte.
Die kurzzeitigen Ausschreitungen mögen mit dazu beigetragen haben, daß die Polizeiführung die Lage trotz des massiven Polizeiaufgebots endgültig als nicht mehr beherrschbar einstufte. Trotzdem haben sie der Sache mehr geschadet als genutzt. Eine größere Zahl von GegendemonstrantInnen verließ die Aktionen, weil sie damit nichts zu tun haben wollten. Und der Polizei wurde nachträglich ein Vorwand für ihr durchweg brutales Vorgehen vor allem gegen friedliche SitzblockiererInnen gegeben. Es ist kein Fall bekannt, wo PolizistInnen sich damit begnügt hätten eineN SitzblockiererIn einfach und schmerzlos von der Straße zu tragen. Meist versuchten sie erst die Leute durch Schläge und quälende Polizeigriffe zum „freiwilligen Weggehen“ zu zwingen. Half das nichts, schleiften sie sie möglichst schmerzhaft weg und ließen sie oft mit einem Tritt zum Abschied auf den Bordstein fallen. In der Presse (NWZ) war davon natürlich nichts zu lesen. Dafür von der gewalttätigen Eskalation von Seiten der DemonstrantInnen.
Damit war für die Nazis kein durchkommen zu ihrer Abschlußkundgebung am Schloßplatz. Statt dessen wurden sie durch die Gottorpstraße und den Bahnhofstunnel zum ZOB geleitet. Trotz Polizei immer wieder am buhenden Spalier der ihnen nachsetzenden GegendemonstrantInnen vorbei. Am ZOB konnten sie dann noch ihre Abschlußkundgebung durchführen, lediglich gestört durch die Sprechchöre und Gesänge der über 1.000 anwesenden AntifaschistInnen. Was die Polizei noch für zwei Prügeleinsätze und mindestens eine Festnahme nutzte. Vier Antifas wurden insgesamt festgenommen.
Der Abschied der NeofaschistInnen ging dann relativ schnell. Sie wurden vom BGS in den nächsten Zug nach Bad Zwischenahn gesetzt (vermutlich wieder ohne Fahrkarte), wo die Polizei zu ihrem Schutz auch schon den Bahnhof abgesperrt hatte. Dann verschwanden sie aus unserem schönen Oldenburg.
Insgesamt sind die Ereignisse wohl als Erfolg der Oldenburger Antifa zu werten. Die Mobilisierung ging weit über das übliche Antifaspektrum hinaus. Es waren StudentInnen, SchülerInnen, GewerkschafterInnen, ganz normale OldenburgerInnen. Es war die größte linke Demonstration der letzten Jahre in Oldenburg. Die aus ganz Norddeutschland angereisten NPD-AnhängerInnen sahen gegen die weit über 2.000 Oldenburger GegendemonstrantInnen recht erbärmlich aus. Ihren Aufmarsch konnten sie trotz massivem Polizeischutz erst mit Verspätung starten, nicht auf der vorgesehenen Route durchführen und mußten ihn auf halbem Wege abbrechen. Ihre beiden Kundgebungen fanden praktisch unter Ausschluß der Öffentlichkeit statt. Die Auftaktkundgebung, weil die Polizei sie weiträumig absperrte. Die Abschlußkundgebung, weil mensch vor der Polzeiabsperrung vor lauter Buhrufen sein eigenes Wort nicht mehr verstehen konnte, geschweige denn das Gerede und Gejohle der Nazis.
Der größte Erfolg aber, ist der in den Köpfen der Menschen. Er läßt sich vielleicht an zwei Sätzen ablesen, die einer Reporterin des Diabolo ins Notizbuch diktiert wurden. „Ab heute lebe ich lieber hier.“, sagte eine Ausländerin, und ein Polizist meinte: „Die Oldenburger können stolz auf sich sein.“
BeSch
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