Krieg und Terror
Okt 312001
 

Wessen Welt ist die Welt?

Der Krieg in Afghanistan ist mehr als nur ein Kampf gegen den Terrorismus

(red) Regelmäßig gibt es Anlässe, die die Gegenwind-Redaktion dazu bringen, ihren obersten Grundsatz der strikten Lokalbezogenheit ihrer Berichterstattung zu verletzen. Auch diesmal ist es wieder ein negativer Anlass, der uns zur Kommentierung von Weltereignissen veranlasst. Wir glauben, dass es unsere Pflicht ist, unsere Sicht der Welt nach dem 11. September 2001 unseren LeserInnen darzustellen. Wir befinden uns in einer Situation, die der des Jugoslawien-Krieges in vielen Bereichen sehr ähnlich ist: Die Presse in Deutschland hat sich selbst gleichgeschaltet – nur wenige Zeitschriften und Fernsehsendungen lassen noch Raum für eine kritische Betrachtungsweise der Vorkommnisse und Handlungen.

Dem spontanen Entsetzen über die Anschläge auf World Trade Center und Pentagon folgte die verordnete Solidarität mit den Vereinigten Staaten von Amerika. Dabei war das Entsetzen genau wie die Trauer ehrlich, und ehrliche Tränen flossen auch bei den Menschen, die mit den Realitäten der Auseinandersetzungen in der Welt vertraut sind. Wie Recht hatten all die Kommentatoren, Politiker und auch die ganz ‘normalen’ Menschen, dass nach diesem 11. September 2001 nichts mehr so sein wird, wie es einmal war.

Die Industrienationen

Das gilt zuallererst für die Industrienationen, denen klar wurde, dass ihre Heiligtümer wie Kartenhäuser zusammenfallen können, wenn der Gegner nur die nötige Brutalität und Menschenverachtung an den Tag legt. Der Terror ist ja keine neue Erscheinung in der Welt. Bin Laden und viele andere Terrorgruppen beweisen ja schon seit Jahrzehnten, dass sie bereit und in der Lage sind, generalstabsmäßig geplante Aktionen durchzuführen – die Attentate auf die amerikanischen Botschaften mit Hunderten von Toten, der Angriff gegen den amerikanischen Zerstörer – all das sind ja Angriffe gewesen, die sich direkt gegen eine bestimmte Politik-Form richteten. Der Terror-Angriff aufs WTC und Pentagon hatte aber eine andere Qualität: Hier wurde mit einer Präzision und Wirkung agiert, die die Militärs der Welt als ihr ureigenstes Monopol in Anspruch nehmen.

Die Schwellenländer

Dann merkten es die Schwellenländer, die in der Bezeichnung von NATO und “Welt-Staatengemeinschaft“ an der Schwelle zwischen Schurkenstaat und assoziiertem Mitglied eben der viel beschworenen Staatengemeinschaft ihr Dasein fristen. Pakistan ist dafür ein gutes Beispiel: In Sekundenschnelle wurde aus einem boykottierten Putschisten-Staat ein treuer Verbündeter der “zivilisierten“ Welt, der seine eigene Identität inzwischen zusammenschießen lässt. Den eben- so wundersamen wie blitzartigen Übergang von der Death Row ‘Schurkenstaat’ zum vollwertigen Mitglied der internationalen Friedensfront konnten auch all die Länder vollziehen, die den Amerikanern ihre Unterstützung (vom Überflugrecht bis zur Bereitstellung der geforderten Infrastruktur usw.) anboten.

Die Schurkenstaaten

Die Schurkenstaaten sollen als letzte in dieser Kette zu spüren bekommen, dass nichts mehr so sein wird, wie vor dem 11. September. Dabei werden die momentanen Veränderungen in den letztgenannten Ländern am wenigsten bemerkt werden. Im “Schurkenstaat“ Afghanistan herrscht seit mehr als 20 Jahren Krieg. 1979, nach dem Einmarsch der Sowjetunion, führten die sich selbst als Mudjahedin bezeichnenden Islamisten erst einen Krieg gegen die SU-hörige Regierung und wurden von den USA unterstützt, dann gab es einen Krieg zwischen rivalisierenden Mudjahedin-Gruppen, letztendlich gewannen die Taliban die Kontrolle über ca. 2/3 des Landes. Die aus Kabul vertriebenen islamischen Milizen, in ihrer Weltanschauung und Menschenverachtung den Taliban vergleichbar, z.T. noch extremer, kontrollieren seit 1996 als Nordallianz den nord-östlichen Teil Afghanistans und versuchen seitdem, mit militärischen Aktionen das Taliban-Regime das Fürchten zu lehren. Nach dem 11. September sah diese Gruppe ihre Chance – forderte Waffen, die sie auch bekam. Die Vereinigten Staaten und auch Russland zeigen allerdings kein großes Interesse, die Nordallianz als neues Regime in Afghanistan zu etablieren; schließlich handelt es sich um die gleichen Leute, die auch in Tschetschenien einen Gottesstaat errichten wollen und die mit den gleichen Parolen wie die Taliban gegen die gottlose Weltpolitik der USA auftreten. So ist es denn auch nicht verwunderlich, dass die Waffen, die die Nord-Allianz geliefert bekommt, eher als Makulatur anzusehen sind – sie reichen kaum zur Destabilisierung des Taliban-Systems.
In den Vereinigten Staaten wird das Verständnis für Russlands Tschetschenien-Krieg wohl bis zur direkten Unterstützung anwachsen. Nun sollte man eigentlich denken, dass die USA aus ihren Fehlern im Kampf gegen den Kommunismus gelernt hätten – schließlich war sie es, die die islamischen Fundamentalisten mit Geld, Waffen und Wissen versorgte, Osama Bin Laden ausbildete und in der Konsequenz das mittelalterliche Denken in Afghanistan zur Staatspolitik und -religion erhob. Aus Angst vor einer islamisch-fundamentalistischen Vorherrschaft des Iran in der Nahostregion nach der Vertreibung des von der USA gestützten Schah von Persien hat die USA massiv den Irak unterstützt, wohl wissend, dass Sadam Hussein skrupellos Giftgas auch gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt hat. Wenige Jahre später wird der Irak zum Schurkenstaat, nicht etwa weil sich Gut und Böse im Denken der Iraker verkehrt hätten, sondern weil es in die (momentane) Logik der Außenpolitik der USA passt.

Krieg gegen den Terror

43 Schurkenstaaten gibt es auf einer Liste der US-Regierung. Inzwischen wird deren Zahl durch die Gewährung von Überflugrechten u.ä. etwas geschrumpft sein. US-Präsident Bush, intellektuell kein Überflieger und von Rüstungskonzernen an die Macht gehievt, hat jetzt dem Terror den Krieg erklärt. Wie schlecht er beraten ist, zeigt sein Krieg gegen Afghanistan. Da schreiben die ganz alten Männer des US-Militärapparates das Drehbuch. Bomben werfen und Erdnussbutter vom Himmel werfen – dümmer geht es nümmer!
Wochenlange Bombardements von Abwehrstellungen, die oftmals nur Dörfer treffen, die viele 100 Kilometer von den Stellungen entfernt sind, vier von fünf Vorratslagern des Roten Kreuzes haben die Bomben der freien Welt schon zerstört. Ein Versehen? Wer glaubt da noch daran, dass die USA Osama bin Laden fassen will? Wäre das Taliban-Regime nicht schon steinzeitlich – man könnte denken, die USA will Afghanistan in die Steinzeit zurück bomben.

Der Bündnisfall und die deutschen Interessen

Der klügste Schachzug war, dass der Angriff der Terroristen als NATO-Bündnisfall eingestuft wurde. Denn die wirtschaftlich eh schon wackelige USA wäre kaum in der Lage, über einen längeren Zeitraum einen solchen Krieg finanzieren zu können. Jetzt bezahlen die NATO-Staaten – ohne Mitspracherecht über die Aktionen! Doch Kanzler Schröder hat ganz deutlich gesagt, dass die ‘uneingeschränkte Solidarität der Deutschen’ nicht für eine abenteuerliche Politik gilt – was genau er damit gemeint hat, konnte noch nicht ergründet werden. Auffällig ist, dass Scharping, Schröder und Fischer wie die Auerhähne um eine Beteiligung deutscher Truppen an diesem Krieg balzen. Wie Sauerbier werden Fuchs und Leopard angeboten – dabei geht es nicht um den Kampf gegen den Terrorismus, es geht um die Rolle, die Deutschland im Konzert der Herren der Welt zu spielen gedenkt.

Was kommt?

Um dem inzwischen auch schon in den Vereinigten Staaten offen und laut kritisierten Rachefeldzug gegen Afghanistan einen neuen Inhalt zu geben, hat US-Präsident Bush jetzt der CIA den Auftrag gegeben, Osama Bin Laden zu töten. Vielleicht wird es ja gelingen. Doch die USA haben durch ihren Krieg gegen Afghanistan dafür gesorgt, dass neue Bin Ladens auf der Bildfläche erscheinen werden. Schon die Entwicklung im Nachbarstaat Pakistan, von den amerikanischen Truppen als Aufmarschgebiet genutzt, zeigt, was sich entwickeln wird. In Pakistan lehnen inzwischen 80% der Bevölkerung die Bombardements ab und die ersten pakistanischen Gotteskrieger sind unterwegs nach Afghanistan, um ihre Glaubensbrüder zu unterstützen.

Ein langer Krieg

Wie wird es weiter gehen? US-Präsident Bush hat erklärt, dass der Krieg sehr lange dauern wird. Und wenn die “zivilisierte“ Welt ihr Kriegsziel (Vernichtung des Terrorismus) weiter so verfolgt, wie sie es jetzt tut, dann wird Bush Recht behalten. Wenn Afghanistan in die Lebensunfähigkeit gebombt ist, wird man sich den nächsten Schurkenstaat vornehmen: Irak? Sudan? Iran? Libyen? Wie es aussieht, haben die USA sich den Irak als nächstes Ziel ausgesucht – so jedenfalls kann die Äußerung eines FBI-Sprechers gewertet werden, der die Milzbrand-Attacken als eine vom Irak ausgehende Aktion bezeichnete.

Was ist die Ursache?

Im Kampf des kapitalistischen gegen das sozialistische System kam es darauf an, möglichst viele Länder auf seine Seite zu ziehen. Um Einfluss zu gewinnen, etablierte man willfährige Systeme in den Ländern der 3. Welt – die meisten kamen durch Putsch-Aktionen an die Macht. Die Staaten wurden in die wirtschaftliche Abhängigkeit getrieben – zugleich wurde ihnen der jeweilige Lebensstil der agierenden Weltmacht aufgedrückt – das gilt besonders für die Organisierung der Arbeit. Die Änderung der Konsumgewohnheiten war die logische Folge. Und beide Veränderungen sorgten dafür, dass die vorhandenen Gesellschaftsstrukturen von unten nach oben gekehrt wurden. Die gesellschaftlichen Kräfte (Bildung, Kultur, Religion) hatten keine Chance, die Entwicklung mitzumachen. Die Folgen sind bekannt: Der Fundamentalismus (nicht nur in den islamischen, sondern auch in erzkatholischen, hinduistischen und in den vielen Anschauungen der afrikanischen Völker) wurde zum Antrieb der ausgegrenzten Menschen und trieb sie in mittelalterliche Refugien.

Wo ist die Alternative?

Der Zusammenhang von Unterdrückung und Terror muss klar werden – hier liegt der Schlüssel für unsere Zukunft. Es darf nicht das Ziel der Politik sein, die Welt mit Christentum und Coca-Cola zu überrennen. Unter dem Deckmantel von Menschenrecht und Humanität führen die Industrienationen heute die Kolonialpolitik der letzten Jahrhunderte weiter – nur mit viel brutaleren Mitteln. Der Einfluss der Fundamentalisten wuchs und wächst überall dort, wo die Industrienationen ihre Interessen (sei es nun Öl oder seien es strategische Interessen) durchsetzen wollen. Die Alternative ergibt sich aus dem eben Gesagten: Die Menschen in Afghanistan, in der Türkei, im Sudan und in Grönland müssen endlich die Chance bekommen, ihre eigene Identität zu finden. Jegliche militärische Aktivität muss unterbunden werden. Krieg ist keine Lösung!

Milzbrand

Zu hysterischen Reaktionen führt die Infektion mit Milzbrand in den USA – es schwappt auch schon in europäische Staaten über.
Wir trauen den Leuten, die dem Amerikanismus dem Kampf angesagt haben, vieles zu. Wir denken, dass sie in der Lage sind, biologische und chemische Waffen zu jeder Zeit und an jedem Ort einzusetzen.
Ein Journalist wird mit Milzbrand infiziert und stirbt. Bei zwei weiteren MitarbeiterInnen wird ebenfalls Milzbrand festgestellt. In kürzester Zeit tauchen an mehreren Orten Briefe auf, die nach mehrmaliger Untersuchung endlich auch als mit dem Milzbranderreger infiziert bezeichnet werden. Im ersten aufgetretenen Fall in Florida werden plötzlich Ermittlungsergebnisse präsentiert, die eine Verbindung zu den Attentaten auf das WTC beweisen: Die Attentäter haben auf einem nahe gelegenen Flugplatz Flugstunden absolviert und auch in der Nähe gewohnt.
Wer glaubt, dass eine Organisation, die in der Lage ist, vier Flugzeuge zu selben Zeit zu entführen, einen mit Milzbrand-Bakterien gespickten Brief an einen Journalisten sendet? Das und alle folgenden Milzbrand-Aktionen tragen doch mehr den Stempel von FBI, NSA, CIA oder CIC oder einer der vielen anderen amerikanischen Organisationen, die erst im Krieg ihre volle Berechtigung erfahren. Auch in den Vereinigten Staaten wächst die Zahl derer, die nicht mehr an eine Beteiligung Bin Ladens oder Saddam Husseins glauben. In der Washington Post vom 26.10. wird erneut der Verdacht geäußert, dass amerikanische Rechtsradikale hinter den Aktionen stecken.

Wir fordern alle Menschen auf, sich an den Protestaktionen gegen den Krieg zu beteiligen.
In Wilhelmshaven trifft sich jeden Mittwoch um 20.00 Uhr im Gewerkschaftshaus eine Gruppe, die über den Krieg diskutiert und Aktionen dagegen plant.
Am 10. November soll in Wilhelmshaven eine Demonstration gegen den Krieg stattfinden.

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