Call-Center
Jan 082003
 

Sklavenhalterei...

Ist die Arbeit im Call Center menschenunwürdig oder nur einfach anders?

(noa) Mit dem Artikel „Leitende und leidende Angestellte“ in der Dezember-Ausgabe hat der Gegenwind eine rege Diskussion ausgelöst. Im Diskussionsforum unserer Homepage nahmen Beschäftigte und Ex-Beschäftigte von Sykes Classic in Roffhausen und Sykes-Beschäftigte anderer Standorte Stellung. Und es spiegeln sich hier so ungefähr alle Meinungen, die möglich sind.

Der Artikel habe doch nur die Wahrheit verbreitet – Wahrheit oder nicht, darum gehe es nicht, sondern darum, ob eine solche Berichterstattung nützlich oder schädlich ist – die Geschäftsleitung arbeite nicht korrekt – ob die Geschäftsleitung korrekt arbeite oder nicht, könne man von hier aus nicht beurteilen usw. usf.
Außer Sykes Classic hat ein weiterer Betrieb desselben Konzerns seine Räume in Roffhausen. Auch der Telekom-Auskunft-Betrieb von Sykes Enterprises war schon einmal Thema eines Gegenwind-Artikels (Ausgabe 170 vom Juli 2001: „Ohne Betriebsrat keine Chance“). Damals ging es um die unterschiedlichen Arbeits-, Lohn- und Vertragsbedingungen in den beiden Sykes-Betrieben, die in unserem Bericht zugespitzt als „1. Klasse“ und „2. Klasse“ beschrieben wurden.
Ein Betriebsrat wurde 2001 nicht nur bei Sykes Classic, sondern auch bei „Sykes Telekom“ gewählt. Dort scheint die Wahl jedoch in jeder Hinsicht anders abgelaufen zu sein – der Betriebsrat dort besteht jedenfalls aus TeamleiterInnen. Beschäftigte und Ex-Beschäftigte charakterisieren seine Tätigkeit als Mobbing.
So ist es ein Teamleiter/Betriebsratsmitglied, der die Dienstpläne macht. Dagegen ist ja zunächst mal nichts zu sagen, doch wenn Beschäftigte ihre diesbezüglichen Wünsche äußern (z.B. nicht ausgerechnet an dem Sonntag, an dem das Kind Konfirmation hat, arbeiten zu müssen), kommt es schon vor, dass der Kollege nicht die Interessen des Beschäftigten, sondern massivst die des Betriebs vertritt und dem Bittsteller mit „Konsequenzen“ droht. Und dass es in diesem Betrieb ausgerechnet der Betriebsrat ist, der „Krankenrückführungsgespräche“ nicht nur befürwortet, sondern fordert, gibt auch zu denken.
Teilzeitbeschäftigte, die vier oder fünf Stunden arbeiten, dürfen während dieser Zeit insgesamt 5 Minuten zum Klo; wer sechs Stunden arbeitet, darf für diesen Zweck insgesamt 10 Minuten Pause machen, und auf 15 Minuten Pinkelpause kommt man bei einem Ganztagsjob. Wer den ganzen Tag telefoniert, muss viel trinken, und da muss man halt auch öfter mal raus – eigentlich sollte man meinen, das wäre eine gute Aufgabe für den Betriebsrat, sich dafür einzusetzen, dass man müssen darf, doch es sind Betriebsratsmitglieder, die Druck machen, wenn es mal länger gedauert hat.
Nicht nur das Betriebsklima im übertragenen Sinne, sondern auch das Arbeitsklima im ganz wörtlichen Sinne ist bei Sykes (und dem Vernehmen nach auch in anderen Betrieben in den ehemaligen Olympia-Hallen) gestört. Heizung und Lüftung laufen gleichzeitig, so dass es im Winter so kalt ist, dass man am besten den Mantel anbehält, während es im Sommer oft so warm ist, dass man noch mehr trinken (und pinkeln) muss. Da die Sykes Enterprises den Auftrag für die Telekom nur bis zum 31. Dezember 2003 haben (ob es einen Folgeauftrag gibt, wird sich zeigen), lohnte sich die Investition für eine Baumaßnahme, die diese Probleme beseitigt hätte, wohl nicht. Nun gibt es aber einen anderen Auftrag, der in Roffhausen erledigt wird. Die Servicenummer der Deutschen Bahn (11861) wird von hier aus bedient. Vielleicht bleibt der Betrieb ja über den ursprünglich geplanten Zeitpunkt hinaus am Ort.
Bei einer Beratungsstelle wurde die Schilderung einer Beschäftigten, die sich gemobbt fühlt, mit der Bemerkung beantwortet, offenbar handle es sich nicht einfach um Mobbing, sondern um Sklavenhalterei. Nun, Sklaven bekamen für ihre Arbeit kein Geld. Bei Sykes bekommen die Beschäftigten am Telefon 6,90 Euro pro Stunde. Und Sklaven galten als Eigentum des Sklavenhalters. Hier können sie kündigen. Insofern stimmt diese Beschreibung gewiss nicht. Jedenfalls handelt es sich aber nicht um Arbeitsbedingungen, die hierzulande von unseren Eltern und Ureltern erkämpft wurden. In Deutschland haben Lohnabhängige eine Menge Rechte, die in den USA, wo die Sykes Enterprises beheimatet sind, nicht gelten.
Wir erfahren immer wieder von Beschäftigten, die dringend eine andere Arbeit suchen, weil sie entweder den Stress oder das Betriebsklima nicht aushalten. Wir wissen aber auch von Leuten, die schon seit langem da arbeiten und zufrieden sind. Zustände wie bei Sykes oder in anderen Call Centern als „menschenunwürdig“ zu bezeichnen, ist zu kurz gegriffen. Die genaue Kontrolle der Arbeit stellt für viele Call Center Agents eine so große Belastung dar, dass sie es nicht aushalten. „Es werden Sachen kontrolliert, die zu kontrollieren gesetzwidrig ist“, berichtet eine ehemalige CCA. Andere sehen kein Problem darin. So schreibt uns „Werner“: „Es gibt Leute, die ranklotzen – und Leute, die auf Lasten anderer einen auf Lau machen … Von daher: Kontrolle in Maßen ist okay; ich sehe das nicht so eng.“

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