Gabriels Niveau
Feb 062003
 

Was heißt denn hier Niveau?

Am 24. Januar 2003 besuchte Ministerpräsident Sigmar Gabriel die Grüne Stadt am Meer.

Im Anschluss an die offizielle Veranstaltung wollten Mitglieder der Bürgerinitiative „Bürger gegen den JadeWeserPort“ dem Ministerpräsidenten ein Gastgeschenk überreichen.

Dabei entwickelte sich folgender Wortwechsel:
Manfred Berger (Bürgerinitiative): „Sehr geehrter Herr Ministerpräsident, mein Name ist Manfred Berger. Ich bin Mitglied der Bürgerinitiative ‚Bürger gegen den JadeWeserPort’. Während Ihres letzten Besuches hier in Wilhelmshaven haben wir Ihnen eine Unterschriftenliste mit den ersten 5000 Hafengegnern übergeben. Auch heute möchten wir Ihnen ein Andenken an diese Stadt mitgeben. Unter Glas, für die Nachwelt konserviert, haben wir den Geniusstrand als Modell nachgebildet. Sie erinnern sich, es handelt sich hierbei um den Küstenstreifen, den Sie durch einen Containerhafen vernichten wollen. Damit Sie sich um die Finanzierung dieses Hafens nicht mehr kümmern müssen, hat die Bürgerinitiative ‚Bürger gegen den JadeWeserPort’ in diesem Model 1 Milliarde Euro in den Sand gesetzt.“
Sigmar Gabriel (Ministerpräsident): „Nein, Herr Berger, dieses Geschenk nehme ich nicht an, auf dieses Niveau werde ich mich nicht begeben. Darf ich Sie fragen, was Sie von Beruf sind?“
Manfred Berger: „Herr Ministerpräsident, ich bin Soldat von Beruf.“
Sigmar Gabriel: „Herr Soldat, also Öffentlicher Dienst. Sie sollten sich mal überlegen, dass es Leute geben muss, die Ihr Gehalt verdienen.“
Manfred Berger: „Ich glaube nicht, Herr Ministerpräsident, dass wir ein Gespräch auf diesem Niveau führen sollten.“

Danach wandte sich der niedersächsische Ministerpräsident wieder seinen Fans zu. Die Blicke, die mich während und nach diesem kurzen Gespräch trafen, waren überwiegend „waffenscheinpflichtig“.
Einer der Anwesenden sagte mir später: Ich finde es erfrischend, dass es noch Menschen gibt, die den Mut haben, dem Ministerpräsidenten persönlich zu sagen: „Ich habe den Eindruck, hier läuft etwas falsch…“.
Solche Sätze zeigen mir, dass wir auf jeden Fall mit unserer Arbeit weiter fortfahren müssen. Danke!!

Manfred Berger


In Sachen Sigmar Gabriel

Da mahnte also der Herr Gabriel den Herrn Berger, als dieser ihm im Pumpwerk seine Zweifel an der Wirtschaftlichkeit des JadeWeserPorts (humorvoll in ein kleines Kunstwerk verpackt) übermitteln wollte: „Herr Soldat“ … weiter sinngemäß, als Angehöriger des öffentlichen und insbesondere militärischen Dienstes hätte Berger die Klappe zu halten zu politischen Entscheidungen, weil er durch den Steuerzahler alimentiert sei.

Prüfen wir einmal diese Aussage auf ihre Logik im Allgemeinen und im Besonderen, d. h. bezogen auf die Person Gabriel. Wir haben uns ausführlich mit der Imagebroschüre beschäftigt, die für dessen Personenwahl erstellt wurde. Abgesehen davon, dass es grottenpeinlich ist, einem Ministerpräsidenten bis in die Windeln zu gucken, ist sie, in sich betrachtet, vom Layout, Umfang und Aufbau her klasse gemacht.
Doch zum Inhalt: Da liest man von Sigmars schwerer Kindheit, seinen „heimatvertriebenen“ Eltern (ganz im aktuellen Trend, die Deutschen als Opfer des Zweiten Weltkriegs darzustellen). „Damals herrschte noch „ein traditionelles Familienbild … Die Frau gehört an den Herd und der Mann verdient das Geld“. Letzterer kriegte nach der Trennung der Eltern das Sorgerecht für den Sohn, „weil ein Beamter damals … mehr gilt als eine Krankenschwester“ – heute, s. o., hat der Beamte nichts mehr zu lachen. Jung-Sigmar verlor bei diesem natürlich völlig den Halt, sollte schon zur Sonderschule. Doch: „Mit der Rückkehr zur Mutter startet der vermeintliche Schulversager Gabriel prompt den schulischen Durchmarsch bis zu einem ausgesprochen guten Abitur …“ Also: Das traditionelle Familienbild ist eben doch das einzig Wahre, Mutter ist die Beste!
Es folgt Sigmars weiterer Marsch durch die Institutionen der Sozialdemokraten. Entscheidend seine Prägung bei den Zeltlagern der „Falken“: „Am Lagerfeuer wird viel und heiß diskutiert. Das schärft die Sprache, besser als jeder Rhetorikkurs.“ Erste Erfolge in der Kommunalpolitik sind unausweichlich: „Wer Zeltlager mit 500 Kindern und Jugendlichen erfolgreich organisiert, kann später auch eine Stadt führen.“ Goslar zum Beispiel. Oder ein ganzes Reich. Die Rechtsextremen freuen sich gewiss über diese undifferenzierte Inwertsetzung geselligen Brauchtums. Böser Flüchtigkeitsfehler. Die sicherlich positiven Einflüsse der „Falken“-Jugendlager versickern hier – mit gefährlichen Nebenwirkungen – unter der oberflächlich-populistischen Aufmachung der Broschüre.
Der Herr Gabriel hatte, ehe er von der Politik leben konnte, auch einen richtigen Beruf? Autsch: Er war Lehrer. Sind das nicht diese faulen Säcke, die ihre unendliche Freizeit dafür nutzen, bei den Grünen einzutreten und die Hand zu beißen, die sie füttert? Und vorher müssen sie studieren – am besten so sinnfreie Dinge wie „Germanistik, Soziologie und Politik“. Nebenbei besetzen sie Häuser und Atomendlager. Ist das so? Weit gefehlt. Gabriel hat an der Uni gelernt, „komplizierte Dinge verständlich und schnell auf den Punkt zu bringen“. Und: „Ein guter Lehrer bringt seine Schüler auf den Weg ins Leben.“ Sein einziger Fehler: Er ist im öffentlichen Dienst. Doch soweit kam es bei Gabriel gar nicht erst: „Die CDU hätte sich viel ersparen können, wenn sie mich damals eingestellt hätte.“

„Es ist richtig und gerecht, seinen Beitrag zu leisten“

Aber Soldat war er. Brav und stumm hat er gedient (wie er es jetzt vom Soldaten Berger verlangt). Oder? Mitnichten: „Auch beim ‚Bund’ gibt Obergefreiter Gabriel seine Meinung nicht am Kasernentor ab. Kritische Worte zur Wettrüstung und Raketenstationierung bringen ihm Ärger mit dem Vorgesetzten …“ Nun, das war damals, vor der Zeit, als von deutschem Boden wieder Krieg ausging. Gabriel ebnete seine große Klappe noch den Weg zum Ministerpräsidenten. Jetzt, wo er’s geschafft hat, haben Soldaten keine eigene Meinung mehr zu haben, sondern nur die Bereitschaft, sich für fragwürdige Interessen zu opfern. Das hat sich seit 1000 Jahren nicht nachhaltig geändert.
Energien müssen umgeleitet werden: „Jeder kann seinen politischen Beitrag in der Gesellschaft leisten, als Mitglied eines Vereins oder durch ehrenamtliches Engagement.“ Richtig: Rechtsaußen im Fußballclub, Schriftführer bei den Karnickelzüchtern oder Blockwart im Kleingartenverein – das sind hoch politische Abstellgleise, auf denen der Ministerpräsident seine Wahlschäflein gerne sieht.
Bleibt nur die Crux, dass auch Gabriel im Öffentlichen Dienst ist, wie jeder Politiker, und dafür aus den Taschen der Steuerzahler deutlich mehr Alimente kriegt als Soldat Berger. Und zwar dafür, dass er eine Meinung hat. Dabei soll gerade er keine eigene haben, sondern die der Bürger/innen vertreten, die ihn vor vier Jahren gewählt haben. Hier hat er kläglich versagt, und dafür hat er am letzten Wochenende die Quittung gekriegt.
Wir wollen fair bleiben: Gegen das, was eine Mehrheit von Niedersachsen uns jetzt eingebrockt hat – die einen gewählt hast, der erst recht nicht die Meinung der Meisten vertritt, sondern die der Unternehmer, aber die ihn deshalb gewählt haben, weil er eine andere Meinung als Gabriel vertritt – wäre Gabriel das kleinere Übel gewesen. Wir haben hier nur eine Wahlbroschüre kritisiert, die auf dem Mist von Gabriels PR-Beratern gewachsen ist, und wir haben deren Aussagen auch auf den Prüfstand einer Aussage gestellt, die er kurz vor der Wahl gegenüber einem intelligenten, wachsamen Bürger geäußert hat – dazu Aussagen, die nicht von ihm persönlich, sondern von Parteigenossen stammen. Man wird ja bescheiden: Gegenüber einem Schröder oder Glogowski war der neue (zwischenzeitlich schon als Kanzlernachfolger gehandelte) Stern am Ministerpräsidentenhimmel höchst sympathisch und es gibt wirklich Schlimmeres. Doch nach vier Jahren ist sein Profil deutlich abgenutzt, abgeschliffen am SPD-Kurs, der sich kaum noch von dem der CDU unterscheidet, die Ziele allenfalls noch in andere Worte fasst: Von der Partei der Arbeiter zur Partei des Kapitals.
Geschenkt. Allein, bei kritischen Wilhelmshavener Bürger/innen hätte Gabriel in der Begegnung mit dem Soldaten Manfred Berger ganz anders punkten können. (iz)

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