Nurdan Gündüz
Mrz 052003
 

Das Licht, das in mein Auge lacht

Ein Buch – und die Menschen, die dahinter stehen

(iz) Auf den Bestsellerlisten des Deutschen Buchhandels stehen Clancy, Mankell, Tolkien, Crichton und Marquez momentan ganz obenan. Die Hitliste des regionalen Buchhandels sieht ähnlich aus. Nur steht hier auf Platz zehn nicht Joanne K. Rowling’s Harry Potter, sondern das Erstlingswerk der Wilhelmshavenerin Nurdan Gündüz. Wir haben es gelesen und mit der Autorin gesprochen.

Als ich die Wohnung betrete, schlägt mir Wärme entgegen. Ich meine nicht die von den Heizkörpern. Straßenschuhe und Hektik bleiben draußen. Im Wohnzimmer wartet heißer, starker Tee. „Ein Stück Zucker?” fragt Mutter Nermin und strahlt, als ich ein paar türkische Vokabeln zusammenbringe. Sie hat ihr Deutsch verbessert, sagt Nermin, durch die vielen Kontakte. Sie managed ihre Tochter Nurdan. Nurdan hat ein Buch geschrieben. Ich weiß nicht, wie managen auf Türkisch heißt. Wie sagt man gleich auf Deutsch?
“Gedichte und ein Kurzroman” heißt Nurdans Buch. „Roman” ist literarisch nicht ganz richtig; es ist eine Erzählung. „Eine Geschichte, bei der manche Weisheiten arg abgegriffen klingen und der Ton der Ich-Erzählerin streckenweise schwer ins Holpern kommt zwischen Poesie und Banalität”, urteilt WZ-Kritiker Münzenberg. – „Doch ob auch für Sie ein paar Wahrheiten in diesem Buch stecken, davon können Sie sich immer noch am besten selbst überzeugen”, verrät der Klappentext auf der Rückseite des Buches. „Das Leben selbst ist eine Prüfung”, beginnt Nurdan ihr Vorwort. „Darauf kommen die meisten Menschen nicht. Das ist schade. Das Leben wäre dann für viele einfacher, wenn sie wüssten, dass sie geprüft werden. Manche Menschen haben zum Beispiel Angst vor Prüfungen und was wäre, wenn sie wüssten, dass sie ohnehin die ganze Zeit einer Prüfung unterzogen werden?” Daraus spricht eine heitere Distanz, einerseits; ein tiefer religiöser Glaube, der sich durch das ganze Buch zieht, andererseits.
Einem Literaturkritiker mag solcherlei Erkenntnis in die Wiege gelegt worden sein; für eine Vertreterin einer traditionell mit dem Schicksal hadernden Generation ist sie recht erstaunlich, und manche haben es mit 80 noch nicht kapiert. Manchmal wirkt Nurdan schon zu erwachsen. Ein schwerer Verlust, der Tod eines Freundes der Familie, hat sie geprägt; das Buch zu schreiben, sagt sie, war die einzig mögliche Form, die Trauer zu verarbeiten. Doch insgesamt spricht aus Erzählung und Gedichten die Wahrnehmung einer gerade 20-Jährigen.

Empfindungen einer Generation

Nurdan schreibt ihrem Alter entsprechend, und wer was anderes verlangt, ist überheblich oder realitätsfern oder beides. Leser/innen in Nurdans Alter werden in ihrem Buch viele Wahrheiten entdecken, sich selbst wiedererkennen oder einen Schritt weiterkommen. Ältere sollten die Wahrheiten ihrer Kinder darin entdecken, oder aber mit Wehmut wie Erleichterung sich vergangener Zeiten erinnern.
Eine inhaltliche Kritik der subjektiven (und gleichzeitig für ihre Generation typischen) Erkenntnisse der Autorin ist gar nicht möglich. Ob die Ode an einen ehemaligen Lehrer „überflüssig“ ist, kann Münzenberg wohl kaum beurteilen. Zwar sind die meisten noch Jahre nach Ende der Schulzeit heilfroh, die Pauker endlich los zu sein. Doch Nurdan ist schon ein Stück weiter: „Er war stets ein offener Mensch”, beginnt ihre Wertschätzung. Zudem war sie Schülerin der IGS, wo das Verhältnis zwischen Lehrkräften und SchülerInnen in der Regel ein anderes ist als an herkömmlichen Schulformen.

Gut geschult

Schon in der Grundschule lässt Nurdan die MitschülerInnen im Deutschunterricht hinter sich. Das Gedicht zur Interpretation des Fährmanns aus Hesses “Siddharta” entstammt einem Schulprojekt in der Oberstufe: Literaturanalyse mit eigenen künstlerischen Mitteln. Untermalt mit selbst ausgewählter Musik, trägt sie es der Klasse vor.
Ewig währt der Fluss / Ewig und ohne Zeit / Glücklich wirst du im Leben / Wenn du dich vom Gedanken befreist / Dass es Zeit gibt / Es gibt keine Zeit.
Das soll ihr erst mal ein deutscher Besserwisser nachmachen. Auf türkisch natürlich, wegen Chancengleichheit. Mit 16. Ein glatter Einser – nicht der einzige im Deutschunterricht -, auch wenn die übrigen Verse kantiger sind. Die Lehrerin setzt Form und Inhalt vor den Duden.
Nurdan spricht besser Deutsch als türkisch, sagt sie selbst. Wegen der Zweisprachigkeit fehlen ihr im Deutschen etwa 3 Prozent bis zur Perfektion. Das sind die kleinen Schönheitsfehler – falsche Zeichensetzung, falsches Geschlecht, falscher Bezug, schiefe Redewendungen -, über die man stolpern kann, wenn man es darauf anlegt. Mancher Gewaltreim, wo man denkt: Wärst du doch besser in der Prosa geblieben. „Ich muss spontan, aus dem Gefühl heraus schreiben”, gesteht sie lächelnd, „und manchmal fehlt mir am Ende die Geduld, für die letzte Strophe einen ordentlichen Reim zu finden.”
Eine junge Frau schreibt ein Buch. Andere ihres Alters verbringen ihre Zeit damit, sich die Realität wegzusaufen oder sich allein mit ihrem Äußeren zu beschäftigen. Nurdan kommt in jeder Beziehung klar und ungeschminkt daher. Muss man oberflächlich und in erster Linie schön sein, um in Deutschland künstlerische Anerkennung zu erhalten? Muss man nicht. Schön ist Nurdan auch, aber ihr Publikum erreicht sie mit ernsthaften Gedanken und Gefühlen. Der Erfolg gibt ihr Recht. Zumal es ihr Erstlingswerk ist – ein vielversprechendes, wenn man genau hinschaut:
Mein Herz es schmerzt in dunkler Nacht / Des Mondes Schein ein einz´ges Licht / Das Licht, das in mein Auge lacht/ Sieht meine inn’ren Wunden nicht
Runder kann man wohl kaum Form und Inhalt verschmelzen. Sie hat die deutsche Sprache im Griff, die „Tochter einer türkischen Gastarbeiterfamilie”, wie der Klappentext etwas altmodisch ihre Herkunft beschreibt.

Eine Seele zwischen zwei Welten

Was ist sie dann? Die in Deutschland geborene und aufgewachsene Tochter türkischer Eltern. Die haben sie zu einer Frau erzogen, die weiß, was sie will, und es durchsetzt, ohne im schlechten Sinne egoistisch zu sein. Das Buch hat sie noch neben ihrem Wirtschaftsstudium fertig geschrieben, vor Weihnachten sollte es gedruckt sein, und in der hektischen Betriebsamkeit ist so manche Korrektur durchgerutscht. Einige Gedichte sind zweimal abgedruckt, weil zwei ursprünglich geplante Bände zusammengefasst wurden. Der Verleger hätte sorgfältiger sein können, aber Nurdan hat Druck gemacht, wegen Weihnachten. Sie hat ihr Ziel fest vor Augen. Der Verleger erhält nur die Druckkosten, und die hat er Nurdan gestundet und wunderschöne Fotos und Plakate beigesteuert. Nun hat sie ein Urlaubssemester genommen, um ihr Buch an die LeserInnen zu bringen. Sie macht Lesungen, sie schafft Medienkontakte, und sie sucht und findet Sponsoren.
Hat sie das im Studium gelernt? Nein, Mut und Ideen verdankt sie ihrer Mutter. Die steht hinter ihr, ist immer dabei. Neulich waren sie in der Sparkasse, Kontoauszüge abholen. Bei Sponsoring denkt jeder an: höfliche Briefe schreiben, Termine abmachen, feuchte Hände. Nermin aber sagt zu Nurdan: „Geh doch mal nach oben”, und wenig später verlassen sie mit einer Sponsoringzusage das Büro von Herrn Bleibohm. Vielleicht sollte Nermin Vorlesungen an der Fachhochschule halten.
Der Vater kann seinen berechtigten Stolz nicht ausdrücken. Die Tochter entspricht nicht dem traditionellen Frauenbild, das ihm einst vermittelt wurde. Aber sie ist seine Tochter. Und auch er leistet seinen Beitrag, damit sie das alles schafft und glücklich ist. Als Mutter und Tochter wieder mal (erfolgreich) von einem Sponsorengespräch zurückkommen, steht schon das Essen auf dem Tisch.
Nurdan hat es geschafft, als Frau die Fesseln türkischer Traditionen abzustreifen und gleichzeitig deren Vorzüge zu bewahren: intensive Empfindungen, Wärme, Familiensinn. Nur weinen kann sie nicht mehr. Sagt sie. Dafür beten; den Glauben hat sie sich ebenfalls erhalten.
Harmonie spielt eine wichtige Rolle in Nurdans Buch, in ihrem Leben. Wer die Wohnung der Familie betreten hat, weiß, warum.


Nurdan Gündüz: Gedichte und ein Kurzroman. Heiber Druck und Verlag, Schortens, 2002. ISBN 3-936691-11-8. 14,80 €.
Autorinnenlesungen: Frauenzentrum Bismarckstr. (ehemals Kinocenter) am 2.3. um 15 Uhr. Karstadt (Caféteria) am 3.3. um 17.30 Uhr. Empfang zum Internationalen Frauentag im Rathaus am 9.3. um 11.30 Uhr. Mütterzentrum Bant (Werft-/Ecke Ebertstr.) am 12.3. um 19.30 Uhr. Café Miteinander, F‘Groden, Danziger Str., am 26.3. um 18 Uhr.

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