Ratssplitter
Apr. 032003
 

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vom 26. März 2003

aufgesaugt von Imke Zwoch

Gelegentlich etwas subjektiv, aber insgesamt angenehm moderierte Ratsvorsitzender Norbert Schmidt die Sitzung, die angesichts des heißen Eisens „Haushalt“ hätte fein eskalieren können. Er teilte allen mit, dass ihm 15 Mitglieder der Jugendorganisation „Die Rebellen“ vor der Sitzung eine Unterschriftenliste für einen Bolzplatz in der Südstadt übergeben hatten .F

Diverse Anträge stellte die WALLI

(Wilhelmshavener Alternative Liste) nicht nur zum Haushalt. So forderte Ratsherr Tjaden einen ständigen Tagesordnungspunkt „Information und Anfragen zum JadeWeserPort“ im öffentlichen Teil der Ratssitzungen. Weitergehend verlangte er eine öffentliche Informationsveranstaltung für die Bürger über das Planfeststellungsverfahren zum Containerhafen inkl. Rechtsbelehrungen über mögliche Einwendungen. Er zitierte ein Urteil zu einem Terminal in Bremerhaven, das verdeutlichte, wie durch Unwissenheit, falsche oder zu späte Einwendungen die Bürger ihre Rechtsansprüche verlieren.A
Für den aktuellen Haushalt forderte Tjaden 120.000 € für die Grundschule Voslapp zur Erneuerung der Fenster, die man derzeit mit bloßen Händen zerlegen kann. Als Deckungsvorschlag nannte er den Erlös aus dem Verkauf des Gebäudes der ehemaligen Grundschule Coldewei. Weiter schlug Tjaden vor, für das Programm N21 (Grundschulen ans Netz) zusätzlich 75.000 Euro bereitzustellen. Durch Zuschüsse aus einem (auslaufenden) Förderprogramm des Landes könnte die Summe verdoppelt werden, und die bislang vorgesehenen 50.000 Euro kämen der EDV-Ausstattung der übrigen Schulen zugute. Ratsfrau Haase (CDU) meinte, das könne nicht ein einzelner Ratsherr entscheiden. Tjaden konterte, hier im Rat würden ja wohl alle entscheiden.
Dann hatte die WALLI noch eine Reihe struktureller Veränderungsvorschläge für die Haushaltskonsolidierung. Vor allem für alte Menschen und Jugendliche, Schulen, Schulschwimmen („Kinder brauchen Bewegung“) sollten die Mittel ohne Prüfauftrag in bisheriger Höhe beibehalten werden. Auch Anträge auf Zuschüsse sozialer Einrichtungen wie Pro Familia, Insolvenzhilfe oder Arbeitsloseninitiative sollen nach Auffassung der WALLI in voller Höhe genehmigt werden.
Nicht erkennen konnte die WALLI, weshalb für den JadeWeserPort erneut 1 Mio € im Haushalt veranschlagt sind. Nach Aussagen des ehemaligen Kämmerers Wolfgang Frank ist der Gesamtbetrag für die Beteiligung an der Entwicklungsgesellschaft bereits voll bezahlt. Zudem gibt es seitens der Landesregierung bislang nur Absichtserklärungen für den Bau des Hafens, in den Landeshaushalten aber noch keine Gelder dafür. Somit ist nicht erkennbar, was mit der Million passieren soll. Auch den Umbau der Nordseesporthalle hält Tjaden bei der momentanen Haushaltslage nicht für vertretbar. Insgesamt legte die WALLI Einsparmöglichkeiten in Höhe von fast 9 Mio Euro vor.C
Ach so, übrigens, wie immer wurden sämtliche Vorschläge der WALLI mit breiter Mehrheit abgelehnt. So weit kommt’s noch, dass im Rat wirkliche Veränderungen beschlossen werden!

Viele Wilhelmshavener Vegetarier/innen

sollen jetzt den Schlachthof mitfinanzieren. Der sollte eigentlich Ende 2004 geschlossen werden. Doch zusammen mit der Bremer Schlachthof GmbH hat die Stadtwerke-Verkehrsgesellschaft quasi eine Auffang-GmbH gegründet. Finanziert wird die zu 60% von hiesigen Bürger/innen. Die Landwirte aus der Region freuen sich über die hofnahe Absatzmöglichkeit für ihre Viecher, doch Ratsherr von Teichman stellte zu Recht fest, das Betreiben eines Schlachthofes sei nun wirklich keine städtische Aufgabe.

Anh Nguyen

rückte für Tobias Schadewaldt, der auf sein Mandat verzichtete, als Mitglied des Jugendparlamentes auf. Ratsfrau Klee sprach den Namen der neuen Jungparlamentarierin sicher aus.

Cleaning Women

Die Reinigung von 4 Schulen wird für ein halbes Jahr als Modellversuch in private Hände (4 regionale Firmen) gelegt. Man rechnet mit Kosteneinsparungen, die durch den Versuch belegt werden sollen. An Hand der Ergebnisse soll der Rat dann über den zukünftigen Anteil der Fremdreinigung entscheiden.6

Das bisschen Haushalt

In den vergangenen Wochen hatte die Verwaltung das Haushaltsfehl auf  10,5 Mio € herunterarbeiten müssen, damit die Kommunalaufsicht den Haushalt genehmigt. Das tut sie – unter dem Vorbehalt, dass für 2004 ein Haushaltskonsolidierungskonzept vorgelegt wird. „Die Politik ‚ungedeckter Wechsel‘ auf allen öffentlich-rechtlich gelenkten Ebenen hat die Stadt Wilhelmshaven nach einer kurzen Atempause wieder eingeholt“, fasste Hoff die Situation zusammen: Nach der kurzfristigen Konsolidierung durch den Verkauf der städtischen Wohnungsbaugesellschaft hatte sich ein gewisser Hochmut eingeschlichen, der nun allmählich allgemeinem Zähneklappern weicht.
Hoff zitierte aus einem Resolutionsantrag, der 1947 (!) von den damaligen Fraktionsvorsitzenden der SPD, CDU FDP und KPD unterschrieben wurde: „Die Bevölkerung in Wilhelmshaven hungert und friert. … Anstatt praktische Arbeit zu leisten, ist die Zeit aber mit Organisationsaufgaben vertan worden.“ Ohne ein Gegensteuern wird laut Hoff das Haushaltsdefizit auf 28 Mio € anwachsen. Trotz alledem „sind Rücklagen für das wichtigste Investitionsvorhaben vorhanden, nämlich den Jade-Weser-Port.“ Nämlich 1 Mio Euro!

„Geiz ist geil“

zitierte Hoff „die jüngere Generation“ (in Wirklichkeit stammt der Spruch aus einem Werbespot). „Effektivität und Effizienz darf kein Tabu sein und sei manches noch so schön, historisch wertvoll und was weiß ich noch alles.“ Huch, stehen uns jetzt weitere Abbrüche historischer Gebäude und Verluste von naturnahen Grünflächen ins Haus, oder was will uns der Kämmerer damit sagen?
Wie Menzel stellte er die städtischen Beteiligungen auf den Prüfstand, aus denen die Stadt netto keine Rendite erzielt. (Wie war das mit dem Schlachthof?) Abschließend zitierte er den römischen Philosophen Cicero (55 v Chr.): „… Die Arroganz der Behörden muss gemäßigt werden …“ Wohlan.

Nach Meinung des Oberbürgermeisters

sind „der konjunkturelle Einbruch, das Wegbrechen der Steuereinnahmen …, explosionsartige Anstiege in den sozialen Sicherungssystemen“ wesentlich für die finanziellen Probleme der Kommunen verantwortlich. Auch Zuweisungen von Land und Bund haben drastisch abgenommen, Personalkosten nach den Tarifverhandlungen um über 3 Mio € zugelegt. Betriebsbedingte Kündigungen sollte es nicht geben, versprach Menzel, aber die Übernahme aller Auszubildenden stehe in Frage. Ein Strategiepapier zur internen Personalkostenreduzierung sieht Folgendes vor: „Verzicht auf das 13. Monatsgehalt und auf Urlaubsgeld, eine 4-Tage-Woche ohne Lohnausgleich sowie die Aussetzung der Tarif- und Rentenanpassungen für die rund 5200 ver.di-Beschäftigten.“
Auf der anderen Seite stehen für Menzel Projekte an, „die die Wirtschaft unserer Stadt, die Menschen unserer Stadt weiterbringen“: Sanierung der Marktstraße zwischen Virchow- und Mozartstraße mit „einer ansprechenden Möblierung, einer attraktiven Bodengestaltung, mit Lichteffekten“. Aah ja.

Die Sanierung der Nordseesporthalle darf man laut Menzel nicht mit dem Sanierungsstau an den Wilhelmshavener Schulgebäuden aufrechnen. An der umstrittenen Hafentorbrücke, deren Bedeutung Menzel hier in Verbindung mit dem JadeWeserPort (gähn!) hervorhob, wird festgehalten.

Eine Schimpftirade

des SPD-Fraktionsvorsitzenden Neumann auf die CDU bezüglich ihrer Vorschläge zur Sanierung der Nordseesporthalle besaß keinerlei Informationswert. Den Gegnern des JadeWeserPorts legte er ans Herz, „dass auf den ca. 700 ha hinter den Kaianlagen die für unsere Stadt wichtigen Arbeitsplätze entstehen. Man spricht von 3.000“… (Wer ist „man“?)  „allerdings nicht von heute auf morgen …“.O

Nicht nur Opfer

seien die Kommunen, stellte sich CDU-Fraktionsvorsitzender Reuter gegen die einseitigen Vorwürfe, die seine Vorredner gegen Land und Bund erhoben hatten. Auch die Kommunen hätten Fehler gemacht. Seine Rechnung des aktuellen Schuldenstands unserer Stadt kam auf das Zehnfache der zuvor genanten Zahlen: 6,4 Mio € im Kernhaushalt, 62 Mio bei den Entsorgungsbetrieben, 11 Mio beim Reinhard-Nieter-Krankenhaus plus Schulden der städtischen Holdings, der WTF (früher WPG) und aus der EXPO summieren sich auf über 100 Mio Euro. Er verlangte die sofortige Tilgung der Expo-Schulden, um Zinsen zu sparen.

Die Welt schaut momentan nicht auf Wilhelmshaven,

erinnerte FDP-Fraktionschef von Teichman eingangs seiner Haushaltsrede, sondern auf den Irak, dessen Bevölkerung „gern unsere Probleme hätte“.
Die Rede des Kämmerers fand er „fast revolutionär“, nur würde die Mehrheitsgruppe dem voraussichtlich oft nicht folgen. Er erinnerte mit Abscheu an das Abschiedsgeschenk des ehemaligen Kämmerers Wolfgang Frank an den Oberbürgermeister: 70 Euro aus eigener Tasche zur Begleichung der „Restschulden“ der Stadt.

Pisa oder Pokale?

Schulen haben für von Teichman Vorrang vor Sportanlagen. Von den 1 Mio € für die Sanierung der Nordseesporthalle könnte die Neuender Schule locker saniert (statt abgerissen!) werden. Die CDU hatte vorgeschlagen, die Sporthallensanierung auf 860.000 € zu deckeln und den Rest für die Schule zu nutzen. Dabei wurde aber vergessen, dass auch der „Rest“ Kreditmittel wären. Schließlich bemängelte von Teichman – nicht zum ersten Mal – die Schattenhaushalte der Stadt, d. h. den Übergang von öffentlichem Eigentum und den damit verbundenen Aufgaben (z. B. Bäder) in private Gesellschaften. Der Bürger bezahlt weiterhin dafür, erhält aber keinerlei Auskünfte mehr, was mit seinem Geld geschieht – und die Verluste tauchen nicht im städtischen Haushalt auf!G
Zur Entlastung des Stadtsäckels z. B. von Sozialhilfezahlungen trug von Teichman das „Modell Wisconsin“ vor – „wieder mal (??) ein gutes Beispiel aus den USA: Fordern und Fördern“. Das klang denn doch sehr nach „Schmarotzer aus der sozialen Hängematte fischen“.H

Gegen die Stimmen von FDP und WALLI

wurde der Haushalt schließlich verabschiedet. Zunächst nach einzelnen Kapiteln; beim Bereich Personalkosten bekam der Vorsitzende scheinbar kalte Füße: Was passiert mit dem Gesamthaushalt, wenn ein einzelnes Kapitel abgelehnt wird? Rasch ließ er sich vom Kämmerer bestätigen, dass eine Teilabstimmung gar nicht notwendig sei, und brachte das Gesamtpaket unter Dach und Fach.

Einwohnerfragestunde

Kämmerer Hoff beantwortete eine Frage zur Nutzung der Burg Kniphausen. Seit 1990gibt es einen Vertrag über die Nutzung von Räumen durch die Stadt für kulturelle Zwecke für eine Jahresmiete von 55.000 Euro. Seit 1997 erhält der Eigner zudem städtische Zuschüsse von knapp 34.000 Euro. Man war geneigt, erstaunt zu sein über diese detailreiche Antwort, die üblicherweise mit dem Hinweis auf private Interessen des Eigentümers unter den Tisch gefallen wäre.F

Eine Rüstersielerin

erinnerte an ein Konzept des SPD-Ortsvereins für ein Naherholungsgebiet (Camping, Wohnmobile, Wassersport) zwischen Maade und Niedersachsenbrücke, das der Verwaltung seit Jahren vorläge. Stadtrat Kottek ermittelte: Ihm sei das Konzept bzw. ein darauf basierender Antrag nicht bekannt. (Kann sein, so lange ist er ja noch nicht da, dass er alle Schubladen mit der Aufschrift „Altablage“ hätte durchforsten können). Zweitens sei die vorgeschlagene Fläche Vorrangstandort für hafengebundene Großindustrie und damit eine Freizeitnutzung nicht zulässig. Drittens gäbe es für den Campingplatz am Geniusstrand, der dem JadeWeserPort zum Opfer fallen soll, bereits andernorts zwei Ersatzstandorte, die derzeit geprüft würden. Viertens gäbe es am Fliegerdeich, am Südstrand, am Helgolandkai und am Nassauhafen Stellplätze für Wohnmobile.

Eine letzte Frage galt der Wasserversorgung.

Ob es richtig sei, dass die GEW auf 50 Mio € Investitionsstau sitze, welche Gewinne sie aus der Wasserversorgung zieht und wie diese verwendet werden. OB Menzel widersprach der These vom Investitionsstau. Jährlich würden 0,5 Mio € in die Infrastruktur der Wasserversorgung investiert. Die Gewinne lagen zwischen 1996 und 2001 durchschnittlich bei 6 Mio Euro, wovon zunächst jährlich etwa ¼ an die Stadt abgeführt wurde, in den letzten Jahren bis zu ¾. Auch hier waren eifrige Besucher der Ratssitzungen erstaunt wie erfreut, dass so freizügig aus den sonst so geheim gehaltenen „Schattenhaushalten“ der Stadt zitiert wurde.F

Die Einwohnerfragestunde findet jeweils im Anschluss an den öffentlichen Teil der Ratssitzungen statt. Jede/r Bürger/in hat das Recht, Fragen zu Vorgängen und Entscheidungen aus Rat und Verwaltung zu stellen. Fragen zu Themen, die in der aktuellen Sitzung behandelt wurden, können spontan (mündlich) gestellt werden. Fragen zu anderen Themen müssen rechtzeitig vorher schriftlich eingereicht werden. Es wäre erfreulich, wenn mehr Bürger/innen als bisher von diesem Recht Gebrauch machen würden, statt zu Hause vor sich hinzugrübeln und zu –grummeln. Nach einer längeren Anlaufphase (in der Form und Inhalt der Antworten von uns stets kritisch bewertet wurden) werden die Fragen jetzt in der Regel ernsthaft und höflich beantwortet, so dass niemand Angst haben muss, dort öffentlich „vorgeführt“ zu werden.


[SCM]actwin,0,0,0,0;Dokument2 - Microsoft Word WINWORD 23.01.2015 , 13:04:53

 

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