Gastarbeiter
Jun 032003
 

Anfänge einer Epoche

Türkische Gastarbeiter in Deutschland erinnern sich

(ub) In Kooperation des Vereins der Türken und der Ausländerberatung stellte Hasan Cil im Metropol sein Buch „Anfänge einer Epoche“ vor. Zwölf türkische Gastarbeiter der ersten Generation erzählen darin ihre Geschichte. Geschichten aus den 60er Jahren, zur Zeit des Wirtschaftswunders, als deutsche Unternehmen ihre Personalchefs bis nach Belgrad, Ankara, Mailand und Lissabon schickten, um Arbeitskräfte anzuheuern.

Von Max Frisch stammt der Ausspruch „Gesucht wurden Arbeitskräfte – und es kamen Menschen“. Über Fremdarbeiter ist mittlerweile viel geschrieben worden, und unzählige Untersuchungen existieren. Erstaunlicherweise finden sich jedoch nur wenige Bücher, in denen diejenigen, die ihre Heimat verlassen haben, um im „gelobten Land“ BRD ihr Glück zu machen, ihre Erinnerungen selbst dokumentieren. Der Bremer Soziologe Hasan Cil hat die Geschichten von sechs türkischen Frauen und sechs türkischen Männern, die alle zur ersten Generation der Fremdarbeiter in Deutschland gehörten, aufgeschrieben.
Das zweisprachige Buch in Türkisch und Deutsch zeigt Spuren einer Epoche auf. Subjektive Eindrücke, geschildert von Menschen, die aus purer Not heraus, ohne Fremdsprachenkenntnisse, ohne Wissen über die Kultur ihres selbst gewählten Gastlandes und ausgerüstet nur mit den notwendigsten Bekleidungsstücken in Istanbul den Zug bestiegen. Sie haben Ehepartner, Kinder und Eltern zurückgelassen, um irgendwo in Deutschland in einer Fabrik zu arbeiten. Zwei, drei, höchstens fünf Jahre wollten sie bleiben, um dann mit viel Geld zurück in die Heimat zu gehen. Doch aus 3 Jahren wurden 30, und viele blieben für immer, holten ihre Familien nach. Die, die zu den Ersten gehörten, sind mittlerweile Rentner, etliche auch schon gestorben. Die Zeit drängt deshalb, die Geschichte der Gastarbeiter muss jetzt geschrieben werden, bevor es zu spät ist. Es ist auch ein Stück deutsche Geschichte.
Die Geschichte aller türkischen Gastarbeiter begann in Ankara. Sie liest sich wie eine Geschichte aus der Kolonialzeit und erinnert stellenweise an Berichte über das Verhökern afrikanischer Sklaven auf Märkten. Denn nachdem türkische Auswanderungsbehörden ihr Okay gegeben haben, selektieren Mitarbeiter der Bundesanstalt für Arbeit mit deutschen Ärzten und deutschen Personalchefs die geeigneten Arbeitskräfte vor Ort aus. Eine entwürdigende Prozedur. Männer und Frauen in einem Raum nur mit Unterwäsche bekleidet. Den Bewerbern wird in Mund, Augen und Ohren geschaut und ganz selbstverständlich zieht der „untersuchende“ Arzt den türkischen Männern auch noch die Hose runter! Sprachlos vor Scham regt sich kein Protest, zu groß ist auch die Angst, die Arbeit in Deutschland nicht zu bekommen.
Die Fahrt mit der Bahn ab Istanbul in nach Geschlechtern getrennten Abteilen. Holzbänke in den türkischen Zügen, ab München dann gepolsterte Sitze, die sich in Liegeflächen verwandeln lassen. Ein erster Hauch von Luxus. Ankunft im Wohnheim, die ersten Tage in der Fabrik, Kontakte zu deutschen Arbeitern, die Vorarbeiterin kommt aus Hongkong. Die Arbeit macht Spaß. Der Akkord ist leicht zu schaffen – viel Geld winkt. Dann Einkaufen in prall gefüllten Lebensmittelgeschäften. Aber was sagt man, wenn man Tee kaufen will? Sicherheitshalber nur Hühnchenfleisch in den Einkaufskorb aus Angst, Schwein in den Topf zu bekommen. Geld nach Hause schicken, nach zwei Jahren der erste Heimaturlaub. Die Familie wiedersehen.
Die Geschichten, die Hasan Cil zusammengetragen hat, sind alles andere als spektakulär.
Manches treibt einem schon die Schamesröte ins Gesicht und es macht zornig, daran erinnert zu werden, wie unsere türkischen Mitmenschen behandelt wurden. Aber es gibt auch lustige Geschichten, beispielsweise wenn ein türkischer Gastarbeiter über seine Erlebnisse im Kölner Karneval berichtet. Es sind ganz überwiegend alltägliche Geschichten, sie handeln vom Trennungsschmerz, der Hoffung auf eine bessere Zukunft, die ersten Tage in der Fremde, von der Aussicht, viel Geld zu verdienen, und den Schwierigkeiten, sich in einer fremden Kultur zurechtzufinden.
Das Metropol war gut besucht, viele ältere Türken, auch einige Spanier der ersten Generation der Gastarbeiter, leider nur wenig Deutsche. Hasan Cil las Passagen des von ihm herausgegebenen Buches auf Türkisch vor, übersetzte dann ins Deutsche. Im Anschluss an die Lesung kamen die Besucher ins Gespräch. Wie viel verdiente man damals als Gastarbeiter bei KSW, Krupp oder Olympia? Musste man unbedingt im Wohnheim wohnen? Warum gab es keine Sprachkurse, oder wollten die, die nur mal schnell für drei, vier, max. fünf Jahre gutes Geld verdienen wollten, gar nicht die Sprache ihres Gastlandes lernen? Einig waren sich alle: Die Geschichte der Gastarbeiter ist facettenreich, längst nicht alles wurde als Ausbeutung und Ausländerfeindlichkeit erlebt. Verständnis, Freundschaften, Solidarität: auch das ist ein Teil der Geschichte der Gastarbeiter in Deutschland.


 

Barbaren kamen in das Land der Götter
Sie drangen ein in die Sphäre des Olymps
Sie kamen an
Den Titanen gleich,
In großen Schüben
Mit unermüdlichen Zügen
Nach einem gründlichen Check-up der Eintritt gewährt
Ohne einen Platz in der Geschichte der
Götterlandschaft
Die Götter betrachteten die Barbaren
Als eine vorbeigehende EPOCHE
Als ein momentan zu ertragende Randerscheinung
Der eine bescheidene Widmung
Auf den verstaubten Blättern
Vielleicht in Frage käme
Eine Erscheinung waren die Barbaren,
Die sich in der Götterfestung von selbst erledigen
Und
Im schwarzen Loch der vergangenen Epoche
SPURLOS auflösen würde.
(Prolog zum Buch: „Anfänge einer Epoche“)

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