Kommunale Finanzen
Jun 032003
 

Kollaps

Die Kommunen sind pleite – viele Arbeitslose womöglich auch bald

(ub) Auf Einladung der Arbeitsloseninitiative (ALI) referierte der kommunale Haushaltsexperte Wolfgang Pohl von der Berliner Böll-Stiftung im voll besetzten Wilhelm-Krökel-Saal im DGB-Haus. Thema der Veranstaltung: Ursachen der kommunalen Finanzmisere und die drohende Abschaffung der Arbeitslosenhilfe. Der Zorn der anwesenden Arbeitslosen richtete sich deutlich gegen grüne und sozialdemokratische Politik. Klare Worte sandten die Teilnehmer der Veranstaltung aber auch an die Adresse der Gewerkschaft.

Gut 100 zumeist direkt von der Arbeitslosigkeit und den drohenden Kürzungen im Bereich der sozialen Leistungen Betroffene waren der Einladung der Arbeitsloseninitiative zur monatlichen Dienstagsveranstaltung gefolgt. Auf jedem Platz lag ein Flugblatt der ALI mit dem Titel „Wie Arbeitnehmer geschröpft werden“. Der ‚Genosse der Bosse’ ist darauf abgebildet. Neben ihm ein Zitat aus dem SPD-Wahlprogramm 2002: „Wir bekennen uns zur besonderen Verantwortung gegenüber den Schwächeren in unserer Gesellschaft. Deswegen wollen wir im Rahmen der Reform der Arbeitslosen- und Sozialhilfe keine Absenkung der zukünftigen Leistungen auf Sozialhilfenniveau“.
Genau das wird aber eintreten, befürchtet die ALI, wenn erst die Maßnahmen von Schröders AGENDA 2010 greifen. Die Zusammenlegung der Arbeitslosenhilfe mit der Sozialhilfe soll Teil der Reform der Gemeindefinanzen werden. Die rot/grüne Bundesregierung hat hierfür (wieder mal!) eine Kommission ins Leben gerufen. Diese aus verschiedensten Verbänden, Lobbyistengruppen und Mitgliedern des Finanzministeriums zusammengesetzte Kommission soll Maßnahmen zur Verbesserung der finanziellen Situation der Gemeinden erarbeiten.

Kommunale Haushaltslöcher durch sinkende Einnahmen …

Wolfgang Pohl gilt als Experte für kommunale Haushaltsfragen. Sein Referat bei der ALI begann mit Ursachenforschung.
Massenarbeitslosigkeit, verfehlte Steuerpolitik der Bundesregierung und sinkende Kaufkraft sind nach Pohl einige der Faktoren, die zum desaströsen Zustand der kommunalen Haushalte beitragen.
Die Einnahmen der Gemeinden sinken, besonders die Steuereinnahmen sind eingebrochen. In den 70er Jahren haben sich die Kommunen zu einem erheblichen Teil über die Gewerbesteuer finanziert. Heute, nachdem verschiedenste Bundesregierungen auf Druck der Lobbyisten aus der Wirtschaft den Rahmen der Gewerbesteuer gravierend dezimiert haben, zahlen nur noch wenige Unternehmen überhaupt diese Abgabe an die Kommunen. Von der rot/grünen Bundesregierung betriebene Steuerrechtsänderungen haben laut Pohl ganz wesentlich zum massiven Einbruch der Steuereinnahmen der Kommunen geführt.

… und steigende Ausgaben –

Auf der anderen Seite wird der kommunale Haushalt in beängstigender Weise durch immer höhere Ausgaben belastet. Zu Zeiten des so genannten Wirtschaftswunders in den 60er Jahren mussten kommunale Haushalte in Deutschland durchschnittlich ganze 6 % ihres Haushaltsvolumens für soziale Ausgaben aufwenden. Schon in den 90er Jahren flossen dann 25 % des zur Verfügung stehenden Haushaltes in Maßnahmen der Sozial- und Jugendhilfe.
Schon möglich, dass im Einzelfall durch schikanöse Methoden gegen Leistungsberechtigte der Hilfeaufwand eingeschränkt wird, mag sein auch, dass z. B. alte Menschen nicht immer im vollen Umfang von den Behörden aufgeklärt werden über ihr Anspruchsspektrum. Wirklich wehren kann sich eine Kommune aber nicht gegen finanzielle Leistungen für Hilfebedürftige, denn Bundesgesetze definieren den Umfang dieser sozialen Leistungen. Das derzeit existierende soziale Sicherungssystem über die kommunalen Haushalte ist sicherlich nicht geeignet für dauerhafte Folgebeseitigung von Massenarbeitslosigkeit.

Die Folgen

dieser Haushaltsschieflage sind allseits bekannt und im öffentlichen Leben unmittelbar spürbar. Marode Schulen, Einsparungen bei den Kulturbetrieben, Schließung von öffentlichen Einrichtungen, Streichungen im öffentlichen Nahverkehr. In Wilhelmshaven trifft es das Freibad am Sportforum, schon geschlossen ist die Jugendherberge, Schulschließungen sind ein Dauerthema. Woanders sind es Jugendzentren, Stadtbüchereien, Bildungsstätten, Kindergärten. Soziale Einrichtungen schließen, weil kommunale Zuschüsse wegbrechen.
Wolfgang Pohl weist auf andere, nicht sofort spürbare, gleichwohl dramatische Auswirkungen hin: Wenn nur noch einige wenige Wirtschaftsunternehmen durch ihre Gewerbesteuerzahlung die Einnahmeseite des städtischen Haushalts bestimmen, entstehen gefährliche Abhängigkeiten. Ein Unternehmen droht mit Abwanderung und jeder Kommunalpolitiker weiß, dies kann den Zusammenbruch des kommunalen Haushalts bedeuten. Wenn das Geld fehlt, werden zuerst die freiwilligen Leistungen beispielsweise im kulturellen, sozialen und Jugendbereich gestrichen. Es gibt keine Spielräume mehr. Wenn nur noch der Mangel verwaltet wird, findet kommunale Selbstverwaltung praktisch nicht mehr statt. Die politischen Unterschiede der Parteien verschwinden – warum noch wählen gehen?

Die Reform der Gemeindefinanzen

will besagte Kommission auf hauptsächlich zwei Gebieten vorantreiben. Die Gewerbesteuer soll reformiert werden. Was dabei rauskommt, ist noch völlig ungewiss. Schon weil starke Wirtschaftslobbyisten der Kommission angehören, ist sich Wolfgang Pohl sicher, dass hier keine Mehreinnahme für die Kommunen zu erwarten ist. Eher ist eine generelle Abschaffung dieser Steuer, von Wirtschaftsverbänden immer wieder gefordert, zu erwarten. Thema Nummer Zwei ist die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe. Auch hier weiß man noch nichts Genaues. Verschiedene Varianten werden diskutiert. Es dürfte aber wohl klar sein: 1. Die Leistungen, die jetzt unter dem Begriff der Arbeitslosenhilfe zur Verfügung stehen, werden gekürzt oder gesenkt. 2. Wird eine Arbeit von einem Hilfeempfänger abgelehnt, drohen stärkere Sanktionen als bisher. Eine Kürzung der Leistung bis unter das jetzige Sozialhilfeniveau ist im Gespräch. 3. Es sollen Anreize geschaffen werden, Niedriglohnjobs ergänzend zur Sozialhilfe anzunehmen. Hier droht aus Sicht der Arbeitsloseninitiative Lohndumping, weil der Arbeitnehmer aufgrund der zukünftig gesenkten Sozialleistungen jede Arbeit annimmt, um über die Runden zu kommen.

„Schönfärberei“

nennt Werner Ahrens von der ALI den Begriff „Zusammenlegung“, denn vielmehr ist gemeint, dass „die Arbeitslosenhilfe faktisch auf das Niveau von Sozialhilfe“ abgesenkt wird. Nach Schätzung der Gewerkschaft bedeutet die Absenkung der Arbeitslosenhilfe einen gesellschaftlichen Kaufkraftverlust von ca. 100.000 Arbeitsstellen.
Keine Rezepte gegen Arbeitslosigkeit sieht Wolfgang Pohl in den Planungen der Bundesregierung. „Es findet keine Politik gegen Massenarbeitslosigkeit statt. Stattdessen eine Politik der Sanktionen des Lebensniveaus derer, die keine Arbeit haben, mit dem Ziel, die Belastungen des Staates in Grenzen zu halten.“

Kritische Töne

richteten etliche Besucherinnen an die sozialdemokratische Adresse. Superminister Clement, so ein zorniger Veranstaltungsteilnehmer, habe in 4 Jahren mehr Schaden angerichtet, als Norbert („die Renten-sind-sicher“) Blüm in 16 Jahren zuvor. Kritische Töne seitens der anwesenden Arbeitslosen auch gegen die Gewerkschaft. Sie hätten, so ein Vorwurf, kaum Einfluss auf den Prozess der derzeitig stattfindenden Meinungsbildung. Die gewerkschaftliche Kritik an der Politik der Bundesregierung wird als zu handzahm empfunden. Die Nähe vieler Gewerkschaftsfunktionäre zur Sozialdemokratie wird mittlerweile als Schwäche empfunden. Ein alter Vorwurf an die Gewerkschaft wird nochmals bekräftigt: Arbeitslose sind die Stiefkinder der Arbeitnehmerorganisationen und finden bei der Gewerkschaft nur halbherzig Unterstützung.
Die Arbeitsloseninitiativen machen mobil gegen die Pläne der Bundesregierung: Bundesweit finden derzeit Demonstrationen gegen Sozialabbau statt. Gewerkschaftlich organisierte Arbeitnehmer und Arbeitslose sitzen, so die Arbeitsloseninitiative Wilhelmshaven/Friesland, im gleichen Boot: „Wer bei Arbeitslosen kürzt, hat auch die Löhne im Visier!“

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