Gegenwind-Gespräch: Joachim Tjaden
Nov 132003
 

Das Pentagon ist ein Glaskasten

Gegenwind-Gespräch mit Joachim Tjaden von der Wilhelmshavener Alternativen Liste

Mit starken Worten beschrieb Joachim Tjaden vor einem Jahr seine Erkenntnisse aus 12 Monaten Ratsarbeit. Da war von vielen kleinen Nickligkeiten die Rede, die ihm die Mandatswahrnehmung erschweren, und von Schläfern, die über ein Gestänge gesteuert ihre Hände zur Abstimmung erheben. Mal sehen, was sich im letzten Jahr getan hat

. Gegenwind: Vor einem Jahr haben wir uns über deine ersten 12 Monate im Rat unterhalten. Jetzt ist ein weiteres Jahr vorüber. Wie fühlst du dich heute?
Acki TjadenJoachim Tjaden: Das letzte Gespräch – ein Jahr im Rat – brachte mich fast vor den Ehrenrat. Damit weiß ich jetzt auch, wofür der Ehrenrat zuständig ist – er spricht mit Leuten, die sich trauen, ihre Meinung zu sagen.
Aber zur Frage. Ich fühle mich immer besser. Womit ich aber nicht sagen will, dass sich im letzten Jahr etwas zum Positiven verändert hat. Es schockt mich nur nicht mehr, wenn das Niveau im Ratssaal wieder einmal extrem zu wünschen übrig lässt. Auch habe ich mich damit abgefunden, jede Aussage der Verwaltung auf den Wahrheitsgehalt überprüfen zu müssen. Der Rat wird da schon sehr häufig mit Halbwahrheiten versorgt.

Häufig hört man davon, dass zu wenig Informationen für eine Entscheidungsfindung zur Verfügung stehen oder sehr spät vorgelegt werden. Stichwort Transparenz, Offenheit.
Das Problem ist nicht in den Griff zu bekommen. Das Pentagon ist ein Glaskasten im Vergleich mit dem Rathaus.
Die Verwaltung macht das ganz geschickt. Sie hält alles so lange unter Verschluss, bis die Sache drängt. Dann gibt sie nur Teilinformationen heraus, diese aber dann so spät, dass sich niemand mehr damit beschäftigen kann. Meine Anfragen werden dann immer mit der NGO abgelehnt – „Keine Akteneinsicht für einzelne Ratsvertreter“. Die Geschichten, die ich da erlebe, darf man eigentlich nicht öffentlich machen, so lächerlich ist das häufig. Da fragt man eine Leiterin nach Besucherzahlen und bekommt keine Auskunft. Nachrichtensperre!!! Da bittet man um ein offenes Dokument des Alpenvereins und bekommt es nicht, weil es sich um Akteneinsicht handelt!
Beispiel: Da wird eine gemeinsame Sitzung einberufen, um das Strukturkonzept JWP zu behandeln. Dazu gab es lediglich eine einseitige Vorlage. Keine Zeichnung – nichts.
Auf Nachfrage teilte die Verwaltung mit, dass die Unterlagen noch nicht fertig seien und nachgereicht werden. Schon komisch. Ich hatte Unterlagen schon seit Monaten. Das Stadtplanungsamt hatte Redeverbot. In dieser Sitzung stellte ich eine ganze Reihe Fragen, von denen mir keine beantwortet wurde. Trotzdem wurde ein positiver Beschluss gefasst.
Ich könnte dir heute noch so viele Beispiele bringen, dass der nächste Gegenwind zu einem Buch würde.

Wie geht die WALLI damit um? Ihr habt doch sicherlich mehr Probleme, diese Infos zu bekommen als z.B. die Mehrheitsgruppe.
Das denken viele. Auch die SPD. Aber bisher habe ich fast alle Informationen schon sehr früh bekommen. Nicht auf dem normalen Weg, sondern von den vielen Unzufriedenen in dieser Stadt. Ganz zum Ärger der „Geheim-Räte“.
Erstaunlich ist für mich immer, wenn mir Mitarbeiter der Stadt sagen, dass sie mir nichts sagen dürfen. Gern würden sie alles zeigen, um auch einmal die Meinung anderer zu hören. Um einfach einmal zu hören, wie „Außenstehende“ das Thema beurteilen. Um Fehler zu erkennen, die man als Bearbeiter selbst nicht mehr sieht. Aber sie dürfen nicht.
Ich bin seit 32 Jahren im Öffentlichen Dienst. Das hilft ungemein. Ich weiß, wie so ein Betrieb funktioniert und wie man damit umgehen muss.
Wie ich schon sagte, es gibt viele, die damit unzufrieden sind. Viele, die wissen, dass mein Briefkasten nicht überwacht wird.
Auf diesem Wege kommen viele Infos. Die Dokumente werden zudem von mir am PC derart verändert, dass es unmöglich ist, die Herkunft jemals festzustellen.

Hat die WALLI schon etwas bewegen können?
Sicherlich nicht auf dem direkten Wege. Da stehen die „Neumänner“ vor, die alles ablehnen, was von der WALLI kommt. Da gehört auch die CDU mit in den Topf. Selbst ein Antrag auf Freibier würde abgelehnt, wenn ich ihn stelle.
Aber über dieses Unvermögen sollten sich die BürgerInnen dieser Stadt ein eigenes Bild machen.
Hinter den Kulissen bewirken wir schon eine ganze Menge. Dazu tragen die BürgerInnen dieser Stadt bei. Immer häufiger wenden sie sich an die WALLI, was dazu führt, dass wir häufig schon reagieren können, bevor der „Wilhelmshaven-Klüngel“ zuschlagen kann.
Immer häufiger können wir die unangenehmen Fragen stellen, bevor die Vertuschungsaktionen abgeschlossen sind. Wir haben es zwar noch immer nicht geschafft, dass die BürgerInnen dieser Stadt auf dem direkten Weg informiert werden, schaffen es aber immer häufiger, dass die Informationen öffentlich werden. Selbst die WZ hat schon über die Aktivitäten der WALLI berichtet. Ich glaube, wir sind auf einem guten Weg. Es wird sicher noch lange dauern, bis die BürgerInnen dieser Stadt wieder aktiv mitmischen, sich einmischen und den Glauben an ihre Möglichkeiten zur Veränderung wieder gewinnen.
Die Aktionen der Neuender BürgerInnen haben deutlich gezeigt, dass man nicht tatenlos zusehen muss, wenn die Mehrheiten im Rat gegen den Bürgerwillen arbeiten. Das ist eine gute Richtung. Und ich glaube, dass wir einen ganz kleinen Teil dazu beitragen konnten. Wir holen keine Sterne vom Himmel.

Es gibt, wie du schon sagtest, viel zu viel zu berichten, um es hier abzudrucken. Daher, was sollte noch gesagt werden?
In Wilhelmshaven sind viele Krankheiten zu behandeln. Ich versuche das mal kurz zu erläutern. Wilhelmshaven, so die Sprüche, soll wieder Einwohner anziehen – junge Familien mit Kindern. Dazu brauchen wir Baugebiete, so die Stadt. Dass wir fast 6.000 leer stehende Wohnungen haben, teilweise in Neubauten, wird dabei außer Acht gelassen.
Aber Neubaugebiete, wie sie immer wieder geschaffen werden, mit horrenden Grundstückspreisen, sind für junge Familien nicht zu finanzieren.
Jüngstes Beispiel aus der letzten Ratssitzung ist das Gebiet in Coldewei. Da, wo wir einmal unsere Kinder zur Schule geschickt haben, entsteht wieder ein solches Gebiet. Familienfreundlich ist da aber nur wenig. Dass die Häuser auf dem Bildungssystem unserer Stadt entstehen, hatte ich noch nicht verdaut, als ich folgendes Angebot las. Reihenhaus, 83 qm Wohnfläche auf 130 qm Grundstück, Preis 119.000 Euro. Das ist ein Wohnhaus für mich, in zwanzig Jahren, wenn ich keinen Garten mehr bearbeiten kann und nur noch den Rest meiner Tage mit meiner Frau vor dem Fernseher sitzen will.
Wenn die Stadt in anderen Gebieten 100 Euro für einen Quadratmeter verlangt, finden wir die jungen Familien in Sande, Schortens oder Friedeburg wieder. Es geht der Stadt nicht darum, den Trend umzudrehen. Es geht nur um Geld. Nach mir die Sintflut, Hauptsache ich mache heute noch so viel Kohle wie möglich. Wir haben viele solche Beispielsiedlungen in Wilhelmshaven, und wir wissen nicht, warum dort keine Kinder wohnen.
Wirtschaftsförderung! Das wichtigste Thema in jeder Stadt. Wenn ich mir überlege, wie viel Geld wir in die Wirtschaftsförderung stecken, ohne dass uns die Frage nach Ergebnissen erlaubt ist. Wenn diese Gesellschaft Hunderttausende in schwindelige Ausstellungen stecken kann, und der Rat erst dann davon in Kenntnis gesetzt wird, wenn er von der WFG zur Kasse gebeten wird. Wenn ich immer wieder höre, dass Ansiedlungswillige abgewimmelt werden, weil wir die Flächen für den JWP brauchen. Ja, dann könnten mir auch manchmal Neumannsche Beschimpfungen rausrutschen.

Weil du gerade von der letzten Ratssitzung sprichst. Wo war da die WALLI ?
Ach, wieder ein WZ-Leser. Aber Spaß beiseite. Der Gegenwind war selbst vor Ort. Viele BürgerInnen auch. Die Reaktionen sprechen eine ganz deutliche Sprache. So viel Zustimmung habe ich bisher noch nicht erlebt. Dass unsere Beiträge nicht WZ-konform sind, dafür kann ich nichts.
Dass mir der Vorsitzende Schmidt schon beim ersten Tagesordnungspunkt zu verstehen gab, dass man nicht hören will, was ich zu sagen habe, war eine gute Eröffnung. Dass er seinem Parteifreund Neumann jeden abwegigen Kommentar erlaubte, gibt zu denken.
Es gab da viel zu sagen. Und das habe ich getan.
Deutlichere Worte zum Thema Wattenmeerhaus, Hafenausstellung, Hafenkonzept, Hotelneubau, Geniusstrand usw. konnte ich nicht sagen. Und meine Redebeiträge bringe ich nicht fürs Protokoll oder die WZ.
Wilhelmshaven plant zwei neue Hotels, ohne auch einmal darüber nachzudenken, was mit den schon vorhandenen passiert. 35 – 45 % Auslastung im Hotelgewerbe – da muss die Frage erlaubt sein, ob und warum die Prunkbauten geschaffen werden sollen.
Die Stadt will die Betriebe im Hafenbereich sichern. Deshalb keine Wohnbebauung mehr am Hafen. Zwei Minuten später genehmigen wir Wohnbebauung ab der 4. Etage des Hotels, direkt am Hafen. Auch das wurde von mir angesprochen. Interessiert hat es niemanden.
Am Geniusdeich stehen Werte – Geld der BürgerInnen. Diese werden durch den JWP vernichtet. Dafür könnte sich Wilhelmshaven entschädigen lassen. Ohne Probleme würde der finanzielle Schaden ersetzt. Die Stadt will das nicht. Auch da gab es deutliche Worte der WALLI.
Der Wutausbruch von Neumann, der öffentlich behauptet, dass der Tjaden nur im Rat sitzt, um der Stadt massiven Schaden zuzufügen, wurde vom Vorsitzenden kommentarlos hingenommen. Wenn es da nach dem Bürgerwillen gegangen wäre, hätte sich die SPD wohl einen neuen Vorsitzenden suchen müssen.
Ich bin da etwas ruhiger. Ich weiß ja, wer das sagt, und warum. Schon seit längerem weiß auch Neumann, dass gerade beim Thema JWP nicht nur seine Fraktion aus dem Ruder läuft. Nach den deutlichen Worten aus Hannover und Bremerhaven, die auch kein Wilhelmshavener gehört hat, schwimmen ihm die Felle weg. So ist das halt, wenn man sich an einen einzigen Strohhalm klammert.
Die WALLI war bei der letzten Ratssitzung. Sie war mehr da, als sich die träge Ratsmasse gewünscht hat. Und die WALLI ist auch in den nächsten Sitzungen.
Es gibt da noch viel zu tun. Und wir werden es tun. Unsere Ansatzpunkte kommen direkt von den BürgerInnen dieser Stadt und nicht aus den Chefetagen. Wir müssen keine Ämter verteilen, um Stimmen zu kaufen.

Vielen Dank für das Gespräch.

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