Landesbühne
Apr 012004
 

Alles Theater

Gleich zwei Stücke zum Thema Faschismus im Programm der Landesbühne.

TOTE OHNE BEGRÄBNIS von Jean Paul Sartre hat das Schicksal von Mitgliedern der französischen Résistance als Hintergrund, um sich mit der Frage nach dem Sinn von Existenz und Tod zu beschäftigen.

Tote_LaBühZwei Männer, eine Frau und ein Junge sind in die Hände von Milizen geraten und erwarten Folter und Tod. Als ihr Anführer unerkannt zu ihnen stößt, müssen alle ihre Rolle neu definieren. Das Stück entlässt das Publikum mit mehr Fragen als Antworten: Wozu sind Helden da? Lohnt es, als Märtyrer zu sterben? Wenn ja, für wen oder was? Für einen, für viele oder um sich selbst einen ruhmreichen Abgang zu verschaffen? Wie kurz ist der Weg vom Helden zum Verräter? Was ist ein Held ohne seine Anhänger? Können Helden tatsächlich was verändern? Kann ein Leben ohne Heldentum einen Sinn haben? Ein verstörender Stoff in einer intensiven Inszenierung.
Das Musical CABARET wirft einen Blick ins Berlin der 1930er Jahre. Der amerikanische Schriftsteller Cliff Bradshaw erlebt den Umbruch zum nationalsozialistischen Deutschland hautnah mit. Wer es sich noch leisten kann, klammert sich an Glanz und Glamour, ignoriert die Nazis oder kollaboriert, um seine Pfründe zu retten. Cliff verliebt sich in das Showgirl Sally Bowles. ”Live is a Cabaret old Chum” – für Sally und viele andere muss die Show auch außerhalb des Kit-Kat-Clubs weitergehen. Cliff erträgt den Nazirummel nicht mehr und muss sich entscheiden … Die Inszenierung der Landesbühne orientiert sich eng an der mehrfach Oscar-prämierten Filmvorlage von 1972.
Leider scheinen nicht alle Zuschauer mitbekommen zu haben, was sich hinter der leichtfüßigen Fassade verbirgt. Auch das Programmheft gibt dazu nichts her, und so wurde mehrfach an den falschen Stellen geklatscht: Wenn die Darsteller eine Nazihymne anstimmen und zum Schluss die Hände zum Hitlergruß heben (was im Theater erlaubt, ja notwenig ist); wenn der Conferencier um Toleranz für seine Liebe zu einer Schimpansin singt und am Ende anfügt: „Sie sieht eigentlich gar nicht jüdisch aus”. Dieses oberflächlich lustigste Lied des Musicals ist in Wirklichkeit das bitterste. Es wurde gelacht, als beim jüdischen Gemüsehändler (Holger Teßmann) eine Schaufensterscheibe zertrümmert wird.
An den SchauspielerInnen liegt es nicht, dass manche im Publikum nichts kapieren. Ireneusz Rosinski hat als Conférencier eine Paraderolle, die er perfekt ausfüllt. Susanne Menner überzeugt als Sally, die ihre innere Traurigkeit mit ihrem überkandideltem Was-kostet-die-Welt verdrängen will. Alle DarstellerInnen sind nicht nur stimmlich präsent. Nicht zu vergessen die tänzerischen Leistungen der Kit-Kat-Girls. In der Schlussszene gehen sie müde zum Bahnhof, gelbe Sterne an die Mäntel geheftet. Die bunte Kulisse des Kit-Kat-Clubs öffnet sich zu einem großen Tor, sie schreiten hindurch, in eine Dampfwolke. Die Lokomotive … nein, es ist ein anderer Nebel, in den sie hineingehen … das eindrucksvolle Finale umfasst in einem letzten Atemzug den Weg von der Deportation bis zur Gaskammer, der sich hinter der bunten Fassade auftut. Grandios.
Gefehlt hat uns neben einem Publikum, das auch und gerade nach diesem Finale mal zwei Minuten die Hände im Schoß lassen kann, nur das Orchester des Kit-Kat-Clubs, dessen vorher eingespielte Musik als Playback kam. „… even the orchestra is beautiful” schwärmt der Conférencier – das auch zu sehen, hätte noch mehr Atmosphäre geschaffen.
Zum Ausgleich gab’s ein klasse Salonorchestor live im „MOULIN ROUGE”, der diesjährigen Inszenierung der Musik-, Tanz- und Theatergruppe (MuTaTe) der IGS. Gleiche Bühne – MutaTe darf jetzt im Stadttheater auftreten, nachdem ihr langjähriges Domizil, das Pumpwerk, zu teuer wurde. Gleiche Story – armer amerikanischer Schriftsteller verliebt sich in Nachtclubstar -, aber anderer Ort (Paris) und andere Zeit, anderer Hintergrund: Im Paris des ausgehenden 19. Jahrhunderts sind nicht die Nazis, sondern der Wermut und andere Laster das Problem. Sally heißt hier Satine, auch sie soll über ihre Show hinaus „vermarktet” werden, ist aber ein paar Jahrzehnte weniger selbstbestimmt als Sally. Gemessen daran, dass die SchülerInnen keine berufliche Ausbildung in Schauspiel, Tanz und Gesang haben und neben dem Schulalltag proben, gibt es keinen qualitativen Unterschied zwischen CABARET und MOULIN ROUGE. Überragende Gesangsleistungen, vor allem Eike Brauns als Toulouse überraschte mit seinem Gänsehaut-Tenor. Nicht zu vergessen einige TänzerInnen, die außer den Beinmuskeln auch die Stimmbänder im Griff haben. Als da wäre Sabrina Alexiadis vom Tanzstudio „Let’s Dance”, das seit längerem mit MuTaTe zusammenarbeitet. Nun war sie auch in CABARET unter den Kit-Kat-Girls auszumachen – unter jeder Maske unverkennbar an ihrem ganz persönlichen Ausdruck. Als Bindeglied zwischen Laien- und Profitheater symbolisiert sie, dass beide ihre Qualitäten haben.

Imke Zwoch

foto: Landesbühne

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