75 Jahre Novemberrevolution
Sep 131993
 

Wilhelmshaven und Rüstringen machten 1918 Geschichte

FREIHEITSSONNTAG

10.11.1918: Freiheitssonntag. Weit über 100.000 Menschen folgen dem Aufruf des Arbeiter- und Soldatenrates Wilhelmshaven zur Massenversammlung auf dem Gelände des heutigen Sportplatzes an der Friedenstraße und des Botanischen Gartens, auf der der Vorsitzende des Rates , Bernhard Kuhnt, die „Sozialistische Republik Oldenburg“ ausruft. – Foto: DGB-Archiv

(hk) Vor 75 Jahren, im Oktober 1918, erhoben sich die Mannschaften der Geschwader der kaiserlichen Hochseeflotte auf Schillig-Reede vor Wilhelmshaven. Die offiziellen Stellen der Stadt halten sich anläßlich dieses Jahrestages bedeckt, obwohl man doch sonst keine Chance ausläßt, mit dem Namen unserer Stadt in die überregionale Presse zu kommen. Aber vielleicht tut sich ja noch was.

Ende 1918 wurde in Wilhelmshaven und Rüstringen Geschichte gemacht: Matrosen, Soldaten und Arbeiter versuchten die Welt zu verändern – kämpften gegen Krieg und Monarchie, für Sozialismus und Demokratie.
In dem folgenden Artikel versuchen wir, das, was im Zusammenhang mit der Novemberrevolution in Wilhelmshaven passierte, kurz darzustellen. Die Ausgangslage im Oktober/November 1918: Es gibt einen Kaiser (Wilhelm II.), Prinz Max von Baden ist Reichskanzler. Kaiser-Deutschland ist im Krieg. Immer mehr Staaten verbünden sich gegen Deutschland. Die Oktoberrevolution in Rußland 1917 und die französische Revolution werden zum Beispiel für die Arbeiter und Soldaten in Deutschland. Die Auflehnung gegen Krieg und Monarchie, für Sozialismus und Menschenrechte nimmt ihren Lauf.

Vorabend der Revolution

Die bedeutendste Aktion am Vorabend der Revolution in den deutschen Streitkräften war der Ende Oktober 1918 beginnende Aufstand in der Kriegsflotte. Anlaß für den Aufstand war der Versuch der deutschen Seekriegsleitung, die gesamte deutsche Kriegsflotte zu einer „letzten verzweifelten Schlacht“ gegen die überlegenen englischen Seestreitkräfte einzusetzen. Dieser Flottenvorstoß bedrohte das Leben von 80.000 deutschen Marinesoldaten.
Seit dem 28. Oktober wurde die gesamte deutsche Kriegsflotte auf Schillig-Reede zusammengezogen. Der Kommandant der „Thüringen“ erklärt vor den Mannschaften: „Wir verfeuern unsere letzten 2000 Schuß und wollen mit wehender Fahne untergehen.“ Aber die Matrosen organisieren den Widerstand. „Es ist schade um jeden Blutstropfen, der noch für diese Lumpen vergossen wird“ bringt ein Matrose die Stimmung der Mannschaften zum Ausdruck.
Schon tags zuvor, am 27. Oktober, als die Panzerkreuzer „Derfflinger“, „Moltke“, „Seydlitz“ und „Von der Tann“ Wilhelmshaven verlassen sollten, leisteten die Matrosen und Heizer passiven Widerstand und verzögerten das Auslaufen der Schiffe. Zahlreiche Matrosen kehrten nicht an Bord zurück. Allein auf der „Von der Tann“ fehlten etwa 100 Mann. Der Kreuzer „Straßburg“ war gefechtsunfähig, weil 45 Heizer an Land geblieben waren. Ihre Kameraden an Bord löschten die Feuer unter den Kesseln und versuchten, das Schiff durch Öffnen der Flutventile zu versenken.
Am 28. Oktober verweigern die Matrosen und Heizer auf dem Linienschiff „Markgraf“ die Befehle zum Ankerlichten und Auslaufen. Auf dem Linienschiff „König“ wird ein Soldatenrat gebildet, und die Matrosen und Heizer des Linienschiffes „Friedrich der Große“ beschließen auf einer Versammlung, keine Kohlen zu bunkern.

Die rote Fahne wird gehißt

Als am Morgen des 30. Oktober der Befehl zum Auslaufen gegeben wird, verhindern die Mannschaften der „Thüringen“ , der „Helgoland“, der „Markgraf“ und weiterer Großkampfschiffe das Ankerlichten, und die Flotte kann Schillig-Reede nicht verlassen. Die Besatzungen der „Thüringen“ und der „Helgoland“ hissen die rote Fahne. Alle Versuche, die Befehlsgewalt der Offiziere wiederherzustellen, scheitern, sodaß die Flottenaktion am 31. Oktober endgültig aufgegeben werden muß. Unterstützt wird der Widerstand der Marinesoldaten noch durch den andauernden Oststurm. Durch den Einsatz von Marineinfanterie und einigen Torpedo- und U-Booten gelingt es schließlich doch, den Aufstand für einige Tage gewaltsam zu unterdrücken. Mehr als 1000 Matrosen werden festgenommen und eingekerkert.

Ein menschenwürdiges Dasein

revol 1918_3Währenddessen kommt es überall in Deutschland zu machtvollen Demonstrationen und Streiks, erste Arbeiter- und Soldatenräte werden gebildet und übernehmen die Macht. Die Aufrufe der Arbeiter und Soldaten sind eindeutig: „Das ist es, was Wilhelm II. und Hindenburg wollen: Es soll weitergekämpft werden. Abermals sollen Hunderttausende geopfert werden. ( …) Die Forderungen des klassenbewußten Proletariats sind: Nicht Fortsetzung des Krieges – sofortiger Frieden! Nicht politische Entrechtung durch den Militarismus – völlige politische Befreiung, Sturz des Militarismus. Nicht die Fortsetzung der kapitalistischen Knechtschaft nach der Befreiung vom Militarismus – ein menschenwürdiges Dasein in der sozialistischen Gesellschaft“ oder „Das monarchistische System muß verschwinden. Das deutsche Volk muß endlich alle seine Ketten brechen …“.
In der Nacht zum 6. November lassen die Militärbehörden in Wilhelmshaven alle militärischen Anlagen und öffentlichen Gebäude durch mit Maschinengewehren ausgerüstete Soldaten besetzen. All das nützt nichts. Die Marinesoldaten hatten den Aufstand schon am Tag zuvor vorbereitet.

Zehntausende demonstrieren

Am Morgen des 6.November demonstrieren zehntausende Matrosen und Soldaten durch die Straßen Wilhelmshavens. Werftarbeiter schließen sich ihnen an. Gefangengehaltene Kameraden werden aus den Arrestanstalten befreit. Auch die vom Stationschef Admiral von Krosigk angeforderte Infanterie aus 0ldenburg verweigert den Gehorsam. In den späten Vormittagsstunden des 6. November überreichen fünf Soldaten dem Stationschef die Forderungen der Matrosen und Soldaten.
Die Marinesoldaten wählen in ihren Einheiten den Soldatenrat – was den ganzen Tag in Anspruch nimmt. Nachmittags strömen viele tausend Werftarbeiter zum großen Torpedoexerzierplatz (gegenüber der Elisenlust). Auf dieser Massenkundgebung wählen die Versammelten ihren Arbeiterrat, der sich am selben Abend mit dem Soldatenrat vereinigt.
Am Abend des 6.11. wird aus dem Arbeiter- und Soldatenrat ein engerer Ausschuß gebildet, der 21er-Rat. Dieser wird als oberste Behörde eingesetzt und übernimmt die gesamte vollziehende Gewalt. An seine Spitze wird Bernhard Kuhnt bestimmt.
Am nächsten Tag findet eine weitere Massenversammlung auf dem Torpedoexerzierplatz statt. Wieder ziehen gewaltige Züge von Soldaten und Arbeitern durch die Straßen. Auf der Kundgebung wird in einer einstimmig verabschiedeten Resolution der Weltfrieden und die Abschaffung der Monarchie verlangt.
Am 9. November muß der Kaiser abdanken.

Sozialistische Republik Oldenburg/Ostfriesland

Auf einer Kundgebung am 10. November (Freiheitssonntag), an der über 100.000 Matrosen, Arbeiter und. Soldaten teilnehmen, erklärt Bernhard Kuhnt den Oldenburgischen Großherzog für abgesetzt und ruft die“ Sozialistische Republik Oldenburg/Ostfriesland“ aus. Bernhard Kuhnt: „So ist die Stunde da, in der wir handeln müssen, und nach einer ernsten, langwierigen und eingehenden Beratung in dieser Nacht, haben wir deshalb wieder versucht, einen Stein vom Wege zu heben. Wir müssen schnell arbeiten; der Schmerzenstage waren es genug. Der 21er-Ausschuß hat in dieser Nacht einstimmig beschlossen, hier die Nordseestation und alle umliegenden Inseln und Marineteile sowie das dazugehörige ganze Oldenburger Land zur Sozialistischen Republik zu erklären. Der Großherzog ist abgesetzt.“
Am 19. November. findet in Wilhelmshaven der Delegiertentag der Matrosenräte statt, auf dem Maßnahmen gegen die Wiedereinführung der Kommandogewalt der Offiziere beschlossen werden und ein „Hauptausschuß der Marine“ mit Sitz in Wilhelmshaven gewählt wird.
Am 11. Januar 1919 putschen Wilhelmshavener Offiziere und Berufssoldaten der Marine – zwei von revolutionären Kräften besetzte Zeitungshäuser müssen geräumt werden.
Am 27./28.1.1919 putschen die Spartakisten und besetzen alle wichtigen Gebäude und Ämter. Sie schlagen ihr Hauptquartier in der 1000-Mann-Kaserne auf. Am Nachmittag des 27.•finden spontane Demonstrationen und Kundgebungen gegen den Putsch der kommunistisch orientierten Arbeiter und Soldaten statt – die Putschisten erklären sich bereit, sich zurückziehen, wenn ihnen 3 Sitze im Rat gewährt werden.revol 1918_2
Dennoch beginnen nachts Berufssoldaten und Deckoffiziere, die 1000-Mann-Kaserne mit Gewehr- und Artilleriefeuer zu belegen. In den ersten Morgenstunden des 28. 1. ergeben sich hunderte der Belagerten. Bilanz: 8 Tote und 46 Verletzte. Vormittags kommt es zu einem erneuten Schusswechsel zwischen Arbeitern und Berufssoldaten, der weitere Opfer kostet.
Am 20.12 1. Februar 1919 schickt die Reichsregierung Truppen nach Rüstringen und Wilhelmshaven. Der 21er-Rat wird abgesetzt. Paul Hug wird Zivilgouverneur und Reichskommissar .

Grundrechte

Die Arbeiter und Soldaten, die im November 1918 gegen Krieg, Imperialismus und Kapitalismus aufstanden, schufen Tatsachen, die bis heute und noch weit in die Zukunft wirken. Die Hohenzollernmonarchie und die anderen Dynastien wurden hinweggefegt – es entstand eine bürgerlich-parlamentarische Demokratie. Demokratische Rechte und Freiheiten, wie z.B. das Recht der Arbeiter auf Betriebsräte, das allgemeine Wahlrecht inkl. Frauenwahlrecht, Koalitions-, Versammlungs- und Pressefreiheit, der Achtstundentag, Kündigungsschutz, Tarifautonomie, Arbeitsgerichtsbarkeit, die Beseitigung feudaler Ordnungen (Landarbeiter- und Gesindeordnung) – all das sind erkämpfte Errungenschaften, die durch die Novemberrevolution Gesetz wurden bzw. zumindest durch die Ereignisse befördert wurden.

Gedenkstein
Am 2. Mai 1920, gleich nach dem durch einen Generalstreik niedergerungenen Kapp-Putsch, errichteten der Deutsche Metallarbeiterverband, USPD und MSPD Rüstringen/Wilhelmshaven auf dem Ehrenfriedhof einen Gedenkstein zu Ehren aller Revolutionstoten unserer Stadt. Auf dem Sarkophag, der von den Nationalsozialisten zerschlagen und von DGB Wilhelmshaven wieder errichtet wurde, eine Inschrift von F. Freiligrath:
Oh stets gerüstet seid bereit, dass die Erde, in der wir liegen steif und starr, ganz eine freie werde!

Quellen: Illustrierte Geschichte der deutschen Novemberrevolution; „…das Volk vom Elend zu erretten“ -Revolution in Rüstringen und Wilhelmshaven -. Band 4 der Reihe „Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung in Rüstringen und Wilhelmshaven“ des Historischen Arbeitskreises des DGB; R. Güth: Von Revolution zu Revolution, Entwicklungen und Führungsprobleme der Deutschen Marine (1848-1918)

 

 

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