NS-Militärjustiz
Mai 141999
 

Ironie der Geschichte

Das Mahnmal für die Opfer der NS-Militärjustiz erhält beklemmende Aktualität

(iz) Am 5. Mai wurde das Mahnmal für die Opfer der NS-Militärjustiz der Wilhelmshavener Öffentlichkeit übergeben. 54 Jahre nach seinem Ende ist der letzte Angriffskrieg, der von deutschem Boden ausging, immer noch nicht aufgearbeitet. 54 Jahre danach, im März 1999, hat ein anderes (?) Deutschland im Schoß der NATO einen Angriffskrieg gegen die Serben begonnen.

Drei Jahre vergingen von der Idee bis zur Aufstellung des Mahnmals (“Achtung vor den Opfern”, GW Nr. 134 v. Mai 1996) am Zugang zum ehemaligen Schießplatz an der Freiligrathstr. (beim Zugang zum Reit- und Fahrverein). Initiiert wurde das Mahnmal vom Antifaschistischen Bündnis Wilhelmshaven, in dessen Namen Manfred Klöpper zahlreichen Spendern für die finanzielle sowie Dieter Slickers vom städtischen Kulturamt für organisatorische Unterstützung dankten. Mit dem Mahnmal wird, so Klöpper, die “sichtbare Dokumentation der Stadtgeschichte erweitert.”

OB Menzel rief die Geschichte der Wehrmachtsdeserteure in Erinnerung. 30.000 Todesurteile wurden wegen “Wehrkraftzersetzung, Gehorsamsverweigerung, Desertion” und nach der “Volksschädlingsverordnung” ausgesprochen, 25.000 davon voll- streckt. In Wilhelmshaven gab es 87 Hinrichtungen auf dem ehemaligen Schießplatz an der Freiligrathstraße 54 davon sind in Totenscheinen oder in Totenbüchern des Aldenburger Friedhofs belegt. Dort stieß das Bündnis auf ein anonymes Gräberfeld, in dem die Ermordeten verscharrt worden waren. Menzel dankte dem Antifaschistischen Bündnis und den Gewerkschaften, die jahrelang recherchiert und dokumentiert hatten. “Erst Ihre Arbeit über Jahre hat das hier ermöglicht.”

Zur Mahnmalübergabe gekommen war auch Ludwig Baumann, Vorsitzender des Bundesverbandes der Verfolgten der NS-Militärjustiz. Im Anschluss erzählte er in der “Perspektive” aus seinem Leben (s. u.), als ein Überlebender der “blutigsten juristischen Verfolgung der ganzen deutschen Geschichte”. Hatte der Nato-Krieg auf dem Balkan dem Mahnmal schon beängstigende Aktualität verliehen, so hinterließ Baumann ein fast zur Sprachlosigkeit erschüttertes Publikum in dem Bewusstsein, dass sich Geschichte nie abschütteln lässt.

Die Verfolgten der NS-Militärjustiz warten seit über 50 Jahren auf ihre Rehabilitation – der Fall Ludwig Baumann
Manchmal entscheiden Sekunden über den Rest des Lebens. Sekunden, die einen Nacht für Nacht verfolgen, wenn man schweißgebadet aus Alpträumen aufschreckt. Ludwig Baumann hatten Kindheitserlebnisse darauf geprägt, nicht artig und angepasst zu sein. Als er 1940 zur Wehrmacht eingezogen wurde, war der Konflikt vorprogrammiert; unausweichliche Repressalien veranlassten ihn schon bald zur Desertion. Er war unpolitisch, sagt er, er wollte nur kein Soldat sein, unfrei und entwürdigt, wie er Soldaten heute noch sieht. Seine Moral wurde ihm zum Verhängnis: Obschon bewaffnet, ließ er sich auf der Flucht von einem Zollkommando festnehmen. Ein Kriegsgericht verurteilte ihn binnen 40 Minuten zum Tode. Nach 10 Monaten in der Todeszelle erfuhr er, dass sein Urteil in 12 Jahre Straflager (ab Kriegsende) umgewandelt worden war. Über das KZ Ester- wegen kam er zu einem Strafbataillon. Kanonenfutter. Und hatte das Glück, dass ein Arzt eine erlittene Verletzung bis Kriegsende nicht ausheilen ließ. Danach musste er mit ansehen, wie ehemalige NS-Richter im besiegten Deutschland Karriere machten. Baumann verfiel dem Alkohol. Erst als seine Frau bei der Geburt des 6. Kindes starb, übernahm er wieder Verantwortung für sein Leben. Außer den Kindern gab es eine Triebfeder, die den zarten Mann noch immer, 77jährig, vor innerer Kraft strotzen lässt: Bis heute sind die Verfolgten der NS-Militärjustiz nicht vollständig rehabilitiert. Immer wieder lehnten Gerichte die Rücknahme der Urteile ab mit der Begründung, dadurch würden die damals fahnentreuen Wehrmachtsangehörigen diskreditiert. Und das schade der heutigen Bundeswehr. Den eigentlichen Helden jenes verabscheuungswürdigen Regimes, die es wagten, „NEIN!“ zu sagen, mutet man hingegen zu, den Rest ihres Lebens im Selbstzweifel zu verbringen. Die ewigen Stehaufmännchen in Politik und Justiz, Filbinger & Co., haben dafür gesorgt, dass ihr Vermächtnis nicht angekratzt wird.
Die Betroffenen brauchen nicht die mittlerweile zugestandene Entschädigung von einmalig 7.500 (!) DM. Sie kämpfen weiter um Pauschalaufhebung ihrer damaligen Urteile. Ein Leben kann man nicht kaufen. (iz)

 

 Antifasöhnung am Mahnmal

Vor gut 4 Jahren berichteten wir über einen hässlichen Disput zwischen OB Menzel und dem Antifaschistischen Bündnis Wilhelmshaven (GW Nr. 126 vom Februar 1995). In Kürze: Menzel hatte sich in seinem Engagement für das Kaiser-Wilhelm-Denkmal bzw. in seinem Ärger darüber, dass nicht alle Wilhelmshavener seine Liebe für die bronzene Pickelhaube teilten, ziemlich unachtsam selbst rechts überholt. Er behauptete in einer Presseerklärung, “ein sogenanntes selbsternanntes antifaschistisches Bündnis” hätte Autonome aus ganz Weser-Ems geholt, um die rührend revisionistische Einweihungsparty des Despotenabgusses zu stören. Ge- meint waren die Überreste eines vormals breiten, parteiunabhängigen bzw. -übergreifenden Bündnisses, das angesichts der zeit- weise beängstigenden Präsenz der Neonazis in Wilhelmshaven entstanden war und dem Menzel selbst angehört hatte. Die weiterhin aktiven Mitglieder konzentrierten ihre Energie allerdings auf wesentlichere Dinge als den Bronzekasper, wenngleich dieser nicht gerade ein antifaschistisches Stadtbild symbolisiert.
Das Bündnis war durch die öffentliche Verleumdung schwer betroffen – eher politisch als persönlich, und zwar so stark, dass die Mitglieder Menzel in einem Offenen Brief sachlich, aber bestimmt in das Bündnis zurückriefen, in dem man sich ihm bis dahin verbunden wähnte. Statt das konstruktiv gemeinte Angebot zu nutzen, setzte Menzel mit Hilfe einer allzeit polemikbeflissenen WZ-Redakteurin noch einen drauf. Danach war Funkstille.
Auf das Antifaschistische Bündnis warteten wichtigere Aufgaben, als entlaufene Bürgermeister wieder einzufangen. Dazu zählt die Aufarbeitung der Marinemilitärjustiz in der Jadestadt, die jetzt durch das Mahnmal sichtbar gemacht wurde.
Darüber hat der Auslöser des Bruderkrieges Patina angesetzt. Der Bronzekaiser blickt tagein tagaus gelangweilt und unbeachtet auf die Garnisonskirche.
Nun stehen Bündnis und Bürgermeister wieder gemeinsam, zur Übergabe eines – nein, nicht Denk-, sondern Mahnmals, das natürlich, ganz aktuell, auch nachdenklich machen soll. Und der OB brach sich keinen dabei ab, dem ehemals “sogenannten selbsternannten” Antifaschistischen Bündnis jetzt offiziell seinen Dank und seine Anerkennung für die geleistete Arbeit auszusprechen. Schwamm drüber, ohne Häme. Schön, dass der OB wieder dahinter steht. Schön, wenn er dabei bliebe.

Imke Zwoch

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